Bern: Hasan (18) erzählt von seinem Leben als vorläufig Aufgenommener

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Status F«Ich würde gern mal in den Europapark oder ans Meer – leider geht das nicht»

Hasan Aliwi (18) ist dankbar, dass er vor zwölf Jahren vorläufig in der Schweiz aufgenommen wurde. Doch das Leben mit dem F-Ausweis empfindet er als Hürdenlauf. 

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Hasan Aliwi fühlt sich wohl in der Schweiz. Doch die Einschränkungen im Zusammenhang mit dem F-Ausweis beschäftigen ihn. 

Hasan Aliwi fühlt sich wohl in der Schweiz. Doch die Einschränkungen im Zusammenhang mit dem F-Ausweis beschäftigen ihn. 

privat
So würde er gern einmal ans Meer fahren, kann dies wegen des grundsätzlichen Reiseverbots aber nicht tun.

So würde er gern einmal ans Meer fahren, kann dies wegen des grundsätzlichen Reiseverbots aber nicht tun.

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Auch Reisen in Drittstaaten sind neu grundsätzlich verboten. Nur in dringenden Ausnahmefällen, wenn laut Gesetzestext «besondere persönliche Gründe vorliegen», kann das Staatssekretariat für Migration SEM eine solche Reise bewilligen. 

Auch Reisen in Drittstaaten sind neu grundsätzlich verboten. Nur in dringenden Ausnahmefällen, wenn laut Gesetzestext «besondere persönliche Gründe vorliegen», kann das Staatssekretariat für Migration SEM eine solche Reise bewilligen. 

20min/Matthias Spicher

Darum gehts 

  • Mit seiner Familie floh Hasan Aliwi (18) 2011 vor dem syrischen Bürgerkrieg in die Schweiz. 

  • Seither gilt er als vorläufig Aufgenommener und verfügt über einen F-Ausweis. 

  • Der Status F bringe diverse integrative Hürden mit sich, sagt Aliwi. 

  • Flüchtlingsorganisationen wollen die «vorläufige Aufnahme» anpassen. Vorerst wird sich aber wohl nichts ändern.

Trotz seines jungen Alters hat Hasan Aliwi wohl mehr von der Schweiz gesehen als manch ein Einheimischer. «Es gibt kaum einen Kanton, den ich in den letzten zehn Jahren nicht bereist habe», sagt der 18-Jährige, der 2011 mit seiner Familie vor dem syrischen Bürgerkrieg geflohen ist. Zurzeit lebt er mit seiner Mutter und dem jüngeren Bruder in einer Mietwohnung in Hinterkappelen BE. «Ich fühle mich sehr wohl in der Schweiz. Ich habe hier Freunde gefunden, die Schule abgeschlossen und die Sprache schnell gelernt», erzählt Aliwi in lupenreinem Berndeutsch.

«Einfach mal eine andere Sprache hören»

Alles wunderbar also? Nicht ganz. Zu schaffen machen dem im Irak geborenen und in Syrien aufgewachsenen Aliwi vor allem die Einschränkungen im Zusammenhang mit seiner Aufenthaltsbewilligung. Der Bund hat seine Familie nicht als Flüchtlinge anerkannt, sondern ihr lediglich die vorläufige Aufnahme gewährt. Wie derzeit rund 45’000 weitere Menschen in der Schweiz, die meisten von ihnen aus Afghanistan, Eritrea und Syrien, verfügt Aliwi über einen Ausweis F – und hat damit weit weniger Rechte als anerkannte Flüchtlinge.

Für vorläufig Aufgenommene gilt etwa ein grundsätzliches Reiseverbot (s. Box); selbst in Europa dürfen sie nur in Ausnahmefällen reisen, beispielsweise bei schwerer Krankheit oder beim Tod von Familienangehörigen. «Ich würde gerne einmal in den Europapark gehen, ans Meer fahren oder einfach eine andere Sprache hören, doch mit dem F-Ausweis darf ich die Landesgrenze nicht überqueren», sagt Aliwi. Auch der Besuch von Verwandten in Deutschland, Spanien oder Belgien bleibt somit ein frommer Wunsch.

Probleme bei Wohnungs- und Vereinssuche 

Der junge Iraker erzählt von integrativen Hürden im Alltag. Vom Fussballclub, der ihn nicht aufnehmen wollte, weil die Familie von der Sozialhilfe lebt (laut Zahlen des Bundesamtes für Statistik sind mehr als 80 Prozent der Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen auf Sozialhilfe angewiesen). Von der mittlerweile drei Jahre andauernden Suche nach einer kleineren Wohnung (die Eltern haben sich getrennt, die ältere Schwester ist zu ihrem Freund gezogen), da Leute mit F-Ausweis wohl nicht zu den Wunschkandidaten der Hauseigentümer zählen. Oder vom Handy-Abo, das über die Grossmutter (C-Bewilligung) läuft, weil vorläufig Aufgenommene bei diversen Anbietern nur Prepaid-Angebote nutzen können.

«Ich würde mir wünschen, dass vorläufig aufgenommene Personen ein wenig mehr Spielraum bekämen – gerade, wenn sie so lange in der Schweiz leben wie ich und die Sprache beherrschen», sagt Aliwi, der momentan das zehnte Schuljahr besucht. Schön fände er beispielsweise, wenn Menschen mit Ausweis F jährlich eine Auslandreise gewährt würde und die Kinder der geflüchteten Familien zusätzlich finanziell unterstützt würden – «damit sie eine Chance haben, in einem Verein Fussball spielen zu können». 

Langfristig statt «vorläufig»

Handlungsbedarf sehen auch Organisationen wie die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH). Seit längerem fordern sie, den F-Ausweis für die vorläufige Aufnahme von Geflüchteten durch einen positiven Schutzstatus zu ersetzen, um deren Integration zu fördern und die Sozialhilfekosten zu senken. Die Bezeichnung «vorläufig» sei irreführend – die überwiegende Mehrheit der Betroffenen bleibt längerfristig in der Schweiz – und halte insbesondere «potenzielle Arbeitgeber davon ab, vorläufig Aufgenommene einzustellen», schreibt die SFH auf ihrer Webseite.

Sie schlägt deshalb vor, den neuen Status als «humanitären Schutz» zu bezeichnen. Er soll Betroffenen etwa ermöglichen, nach fünf Jahren in der Schweiz eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen. Zudem sollen ihnen Reisefreiheit, das Recht auf Familiennachzug sowie Sozialhilfe im gleichen Umfang wie für anerkannte Flüchtlinge gewährt werden. 

Drei Motionen im Parlament 

Auch im Parlament haben SP, Grüne und GLP in drei gleichlautenden Fraktionsmotionen vorgeschlagen, die «vorläufige Aufnahme» durch einen neuen Status «humanitärer Schutz» zu ersetzen. Neben der Förderung der Integration böte sich damit «die Gelegenheit einer Harmonisierung der Schweizer Regelung mit der entsprechenden europäischen Regelung», heisst es im Vorstoss.

Der Bundesrat sieht derzeit jedoch keinen Handlungsbedarf. Der Status der vorläufigen Aufnahme habe in den vergangenen Jahren insbesondere in Bezug auf die berufliche Integration deutliche Verbesserungen erfahren, schreibt er in seiner Antwort. So sei etwa die Bewilligungspflicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch eine einfache Meldepflicht ersetzt und die Sonderabgabe auf Erwerbseinkommen abgeschafft worden. Zudem sei die vorläufige Aufnahme «heute weitgehend kompatibel mit dem subsidiären Schutz der EU».

Künftige Anpassungen schliesst der Bundesrat aber nicht aus: Zuletzt verweist er auf die laufende Evaluation des Status S (s. Box), die es auch ermöglichen solle, «die Notwendigkeit von Änderungen bei der vorläufigen Aufnahme in einem umfassenden Rahmen zu beurteilen».

*Name der Redaktion bekannt

Der Status F

Reiseverbot für vorläufig Aufgenommene 

Im Dezember 2021 hat das Parlament einer Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) zugestimmt. Demnach dürfen vorläufig aufgenommene Personen (VA), also solche mit F-Ausweis, gleich wie anerkannte Flüchtlinge nicht mehr in ihr Heimatland reisen. Reisen in die Heimatländer sind nur noch erlaubt, wenn sie zur Vorbereitung einer definitiven Rückkehr dahin notwendig sind. Auch Reisen in Drittstaaten sind neu grundsätzlich verboten. Nur in dringenden Ausnahmefällen, wenn laut Gesetzestext «besondere persönliche Gründe vorliegen», kann das Staatssekretariat für Migration SEM eine solche Reise bewilligen. 

Der Bundesrat sieht nun aber einen Widerspruch zwischen den Änderungen im AIG und der erstmaligen Anwendung des Schutzstatus S für Geflüchtete aus der Ukraine, die ohne Bewilligung ins Ausland reisen und in die Schweiz zurückkehren dürfen. «Diese besondere Situation war zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Gesetzesänderung im Dezember 2021 nicht vorauszusehen», teilte das SEM im letzten Februar mit. Die neuen Regelungen für Personen mit F-Ausweis würden daher «vorderhand nicht in Kraft» treten. «Hier sollen die Erfahrungen mit dem bestehenden Schutzstatus S auch bezüglich der Reisemöglichkeiten abgewartet werden.»   

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