Feuermal im Gesicht: «Ich wurde gefragt, ob ich misshandelt werde»

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Feuermal im Gesicht«Ich wurde gefragt, ob ich misshandelt werde»

Angie Ziegler (33) kam mit einem grossen Feuermal im Gesicht zur Welt. Im Interview spricht sie über Mobbing, stechende Blicke und ihre Ängste.

Julia Ullrich
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Julia Ullrich

Angie Ziegler spricht im Interview über ihr Feuermal. (Video: S. Ritter)

«Die Menschen schauen sowieso – wegen meiner pinkfarbenen Haare. Aber wenn ich ohne Make-up rausgehe, starren mich die Leute regelrecht an», sagt Angie Ziegler aus Romanshorn. Die 33-Jährige kam mit einem grossen Feuermal (siehe Box) zur Welt. Der rote Fleck bedeckt fast ihre gesamte linke Gesichtshälfte. Heute postet Ziegler auch ungeschminkt Bilder auf Social Media. Bis dahin war es aber ein langer Weg: «Viele Jahre habe ich nicht mal ungeschminkt die Tür geöffnet.»

Vor allem bei der Partnersuche sei das Feuermal zum Problem geworden. Sie habe stets Angst gehabt, wie das Gegenüber auf das ungeschminkte Gesicht reagieren würde. «Ich habe mich immer gefragt, ob ich in deren Augen dann weniger wert bin.» Daher versuchte sie es mit Humor zu nehmen: «Ich sagte jeweils: ‹Bitte erschrick nicht!› Das hat die Spannung gelöst», so die 33-Jährige.

«Als Kind wurde ich als ‹Indianer› bezeichnet»

Ziegler verlässt das Haus auch heute nur selten ohne Schminke. Obwohl sie gelernt habe, damit umzugehen, sei es in der Öffentlichkeit oft schwierig. «Mein Ex-Freund überredete mich mal, ungeschminkt mit ihm an den See zu gehen. Am Ende des Tages meinte er zu mir, dass er verstehe, dass es mir unangenehm sei.»

Mit «unangenehm» meint die Personaltrainerin vor allem stechende Blicke: Viele würden sich umdrehen oder stehen bleiben, um sie genauer zu betrachten. «Als Kind wurde ich als ‹Indianer› bezeichnet. Andere fragten mich, ob ich misshandelt werde oder ein böses Mami habe», erinnert sich die 33-Jährige.

«Die Farbstofflaser-Therapie hat höllisch wehgetan»

Ziegler fragte sich schon öfter, warum genau sie mit diesem Makel leben müsse. «Ich wünschte mir öfter, es nicht zu haben. Zum Glück unterstützen mich Familie und mein Partner in diesen Zeiten.»

Die Entfernung des Feuermals war schon Thema. Dennoch entschied sich die 33-Jährige dagegen: «Ich habe es vor etwa neun Jahren versucht, aber die Farbstofflaser-Therapie hat höllisch wehgetan. Zudem gibt es keine Sicherheit, dass es nach den vielen Sitzungen tatsächlich weg ist.»

Antrieb geben der jungen Frau Fitness und Kraftsport: «Das Training gibt mir die Kraft, mein wahres Ich zu zeigen.» Das gelingt der Thurgauerin aber nicht immer: «Ich möchte gern eine Vorbild sein, aber mit dem Feuermal zu leben, ist auch ab und an noch schwer für mich.»

Ornella Masnari, Psychologin am Uni-Kinderspital Zürich, bestätigt, dass Menschen mit sichtbaren Hauterkrankungen von der Aussenwelt häufig negativer wahrgenommen werden. «Dies beginnt bereits im Kindesalter: Menschen mit solchen Besonderheiten werden oft als weniger attraktiv und weniger sympathisch empfunden. Auch herrschen Berührungsängste ihnen gegenüber», so Masnari.

Laut Masnari können Stigmatisierungserfahrungen mitunter zu psychischen Problemen wie erhöhten sozialen Ängsten, vermindertem Selbstwertgefühl oder Depressionen führen. Betroffene könnten aber lernen, mit solchen Situationen umzugehen. «Eine proaktive Kommunikation hilft, Vorurteile und Berührungsängste abzubauen.»

«Die Menschen schauen so oder so»

Auf neugierige Fragen könne man nach dem Prinzip «Erklären – beruhigen – Thema wechseln» antworten: «Zuerst gibt man eine kurze Erklärung, dann beruhigt man das Gegenüber, indem man etwa sagt, dass es nichts Schmerzhaftes und auch nichts Ansteckendes ist. Und schliesslich lenkt man das Gespräch bewusst auf ein anderes Thema», so die Psychologin.

Diese Strategie helfe, selbst die Kontrolle über die Situation zu behalten. Aussenstehenden legt sie nahe, betroffene Personen nicht anzustarren und auch nicht zu bemitleiden, sondern ungeachtet der Hautauffälligkeit «ganz normal» zu behandeln.

Angie Ziegler will auch andere Menschen ermutigen, offen zu ihren Makeln zu stehen: «Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Ausserdem schauen die Menschen so oder so.»

Dieses Ziel verfolgt auch das Uni-Kinderspital Zürich und führt eine Hautstigma-Initiative durch, um Kinder und Jugendliche mit Hautveränderungen zu stärken.

Das ist ein Feuermal und so kann man es behandeln

Ein Feuermal ist eine angeborene Fehlbildung und wird als gutartige Hautveränderung eingestuft. Die feinen Blutgefässe, die unterhalb der Oberhaut verlaufen, sind vermehrt und erweitert, was durch die Blutfüllung der Gefässe die rötliche Färbung hervorruft. Grössere Feuermale kommen im Schnitt bei einem von 1000 Kindern vor. Ein Feuermal kann durch Make-up kaschiert oder durch eine Farbstofflaser-Therapie entfernt werden. Eine solche Behandlung kann über mehrere Jahre dauern. Insgesamt sind bis zu zehn Sitzungen nötig, die Pausen dazwischen betragen etwa zwei Monate.

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