H1N1-AnsteckungsgefahrIm Ernstfall hat die Pandemie leichtes Spiel
Eine Umfrage von 20 Minuten Online zeigt, wie lasch es viele User mit der Hygiene halten. Fatal: Wer selbst an Grippe leidet, schert sich offenbar kaum um die Ansteckungsgefahr seiner Mitmenschen.
- von
- Runa Reinecke
Ferienzeit, Sonne, Strand: Kein gutes Timing für Negativ-Botschaften, schon gar nicht, wenn es um die vielfach zitierte Schweinegippe geht. Das H1N1-Virus nervt, langweilt und ist sowieso bislang für die meisten nur medial ein Thema und immer noch ganz weit weg: Wer kennt schon jemanden persönlich, der an Schweinegrippe erkrankt ist? Allen Unkenrufen zum Trotz: Dieser Zustand kann oder wird sich sogar mit ziemlicher Sicherheit ändern, schenkt man den Prognosen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) Glauben.
Eine nicht repräsentative Umfrage von 20 Minuten Online zeigt, dass die Schweinegrippe immer noch aus den Köpfen verdrängt wird - und das mit grossem Erfolg: So antworteten 17 Prozent der Befragten, selbst im Pandemie-Fall Türfallen, Türöffner in öffentlichen Verkehrsmitteln oder vergleichbare Gegenstände zu betätigen, ohne sich im Anschluss die Hände zu reinigen.
Händewaschen? Fehlanzeige!
Derzeit ist es sogar noch schlechter um die Hygiene bestellt: 56 Prozent der Teilnehmer gaben an, sich nach dem Berühren öffentlich zugänglicher Gegenstände nur dann die Hände zu reinigen, wenn es sich zufällig ergibt. Ganze 34 Prozent interessiert das überhaupt nicht: Aufs Händewaschen wird nach dem Trip mit Bus, Tram oder Zug ganz verzichtet. Nur zehn Prozent sind vorsichtig und nutzen unterwegs Desinfektionsmittel oder Feuchttücher.
Feuchttücher - kann so überhaupt die Virenkonzentration minimiert werden? «Auch der Gebrauch dieser Tüchlein ist sinnvoll, falls keine Gelegenheit zum Händewaschen besteht», weiss Prof. Dr. med. Christian Ruef, Infektiologe und Leiter für Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich. Trotzdem empfielt der Experte, sich bevorzugt die Hände zu waschen - mit Wasser und Seife - versteht sich.
Wenig appetitlich - im Ernstfall sogar richtig bedenklich ist das Hygieneverständnis, wenn es um den Umgang mit Nahrungsmittel geht. Nur 42 Prozent aller Teilnehmer achten vor dem Essen auf das Reinigen von Fingern und Handflächen. Kein Problem? Angenommen, man kam zuvor mit einem durch H1N1-Viren kontaminierten Gebrauchsgegenstand in Berührung und isst direkt im Anschluss einen Apfel. Kann die so aufgenommene Virenkonzentration ausreichen, um einen Gesunden zu infizieren? «Ja!» bestätigt Christian Ruef und ergänzt: «Die aufgenommene Erregermenge kann ausreichen. Natürlich hängt es auch ein wenig davon ab, ob der Betreffende ein geschwächtes Immunsystem hat - zum Beispiel durch eine bereits bestehende Krankheit oder Medikamente.»
Wasser und Seife nach dem WC? Oh weh!
Und wie steht es um die Hygiene nach dem Besuch eines öffentlichen WCs? Da ist Händewaschen doch eigentlich Pflicht. Denkste! Zwölf Prozent gaben zu, sich längt nicht immer nach Verrichtung eines «Privatgeschäfts» die Hände zu reinigen, ganz selten tun dies zwei und nie ebenfalls zwei Prozent. Für Ruef keine Überraschung: «Eine auf Hygiene sensibilisierte Bevölkerung ist und bleibt eine Illusion».
Genauso illusorisch ist die Vorstellung eines achtsamen Umgangs mit der Umwelt, falls man selbst zum Träger eines Virus wird. Dies lassen die Antworten auf die in der Umfrage gestellte Frage zum Niesverhalten vermuten: Nur 41 Prozent niesen korrekterweise in ein Taschentuch oder - wenns nicht anders geht - in die Armbeuge, um andere nicht anzustecken. Rund 43 Prozent halten die Hand vor den Mund und sorgen so dafür, dass sich die Viren durch Händeschütteln oder das Anfassen diverser Gegenstände auf die Mitmenschen verteilen. Übrigens einer der Hauptverbreitungswege einer Grippe, denn Ruef zufolge können die Viren mehrere Stunden, eventuell sogar Tage auf Oberflächen überleben.
«Kann man sich über die Klimaanlage im Flugzeug anstecken?»
Aufklärung tut also Not - nicht nur um in pre-pandemischen Zeiten einer allseits anzutreffenden Gleichgültigkeit entgegen zu steuern: Informationslücken schüren Angst. Längst sind nicht alle Fragen im Umgang mit den Ansteckungsgefahren rund um die Schweinegrippe geklärt: Wo lauern sie, welche Präventionsmassnahmen sind unbedingt sinnvoll, welche schlicht übertrieben? 20 Minunten Online liess sich vom Hygiene-Experten Christian Ruef aufklären (siehe Bildstrecke oben).
Das Schweinegrippe-Virus (Typ H1N1)
Wissenschaftler klassifizieren Grippe-Viren nach ihren Oberflächenproteinen. H steht dabei für Hämaggluttinin, N für Neuraminidase. Es gibt 16 verschiedene H-Typen und neun verschiedene N-Typen, wobei die Nummern nichts über die Schwere der Krankheit aussagen. Die jetzt in Mexiko ausgebrochene Schweinegrippe hat den Virenstamm H1N1, die Vogelgrippe den Typ H5N1.
Der grösste Teil einer Virusoberfläche ist mit dem Eiweiss Hämagglutinin bedeckt. Das Protein ermöglicht Viren das Ankoppeln an die Zelle, in der schliesslich neue Grippeviren entstehen. Neuraminidasen sind Enzyme, die sich auf der Oberfläche von Influenzaviren befinden. Sie ermöglichen das Eindringen von Krankheitserregern in körpereigene Zellen. Diese viralen Enzyme schleusen dann auch von infizierten Zellen neu produzierte Viren aus der Zelle.
(Quelle: AP)