Aborigines in Aufruhr: In Australien brechen alte Wunden auf

Aktualisiert

Aborigines in AufruhrIn Australien brechen alte Wunden auf

Australien ist ein Traumland. Nur wenn es um die Ureinwohner geht, werden die sonst so gelassenen Bewohner der Paradiesinsel hitzig. Das bekam nun Premierministerin Julia Gillard zu spüren.

Ralf Meile
von
Ralf Meile

Julia Gillard gilt als tough. Die australische Premierministerin arbeitete als Rechtsanwältin, engagierte sich als Gewerkschafterin und fightete erfolgreich für eine Frauenquote in der Labor Party, der sie angehört. Doch am Australia Day, dem Nationalfeiertag am Donnerstag, blieb ihr nur die Flucht. Ein wütender Mob hatte sie attackiert. Bodyguards eskortierten Gillard umgehend in Sicherheit. Die Premierministerin blieb unverletzt. Sie hatte bloss den Verlust eines Schuhs zu beklagen.

Den Mob bildeten rund 200 Aborigines und Sympathisanten der Ureinwohner. Sie versuchten, ein Restaurant zu stürmen, in dem sich Gillard mit Tony Abbott traf. Der Oppositionsführer von den Liberalen hatte die Ureinwohner verärgert, weil er angeblich forderte, Protestzelte abreissen zu lassen. Seit 40 Jahren steht diese «Botschaft» in der Hauptstadt Canberra, als Symbol für die Aktivisten, die gegen die Ungleichbehandlung der Aborigines protestieren.

Massaker und eine gestohlene Generation

Die Forderung Abbotts – gleichfalls symbolträchtig, da am Nationalfeiertag ausgesprochen – und die Reaktion darauf zeigen: Australien hat ein Problem mit seiner Vergangenheit. Immer noch, könnte man anfügen. Denn seit der Weisse Mann 1798 die Insel in Beschlag nahm, gab es ständig Konflikte mit den Aborigines. Regelrecht abgeschlachtet wurden die Ureinwohner von den neuen Besetzern. Die Rede ist von mehr als 20 000 Aborigines, die bei Kämpfen umkamen. Auch die andere Seite hatte rund 3000 Tote zu beklagen.

Das sehr dunkle Kapitel in der Geschichte Australiens dauerte bis in die 1970er-Jahre an. Zwangsweise entfernte die Regierung Kinder von Aborigines und gab sie zur Adoption in weisse Familien oder Missionen. Einer der Handlungsstränge im Hollywood-Spielfilm «Australia» erinnert an diese Praxis.

1997 machte sich der Staat daran, seine Vergangenheit kritisch unter die Lupe zu nehmen. Nach einem Bericht der australischen Menschenrechtskommission zur «gestohlenen Generation» wurde als eine Art Entschuldigung ein «National Sorry Day» eingerichtet. 2008 entschuldigte sich der damalige Premier Kevin Rudd offiziell für das Vorgehen seiner Vorgänger.

Bildung statt Alkohol, Polizei statt Pornos

Australien-Reisende lieben das Land nicht zuletzt wegen der stets freundlichen Bevölkerung. Doch das Thema Aborigines ist in Diskussionen ungefähr so beliebt wie die Tibet-Frage bei der chinesischen Regierung. Zuvor aufgeschlossen wirkende Australier, die einen spontan auf ein Bier einladen, wirken auf die Ureinwohner angesprochen plötzlich wie verwandelt. Die Mienen verdunkeln sich, es wird gepoltert und geflucht. Und danach wird weiter Bier getrunken.

Dem Gerstensaft und härterem Stoff sind auch viele Aborigines nicht abgeneigt. Deshalb gibt es nach wie vor Bemühungen der Regierung im Umgang mit Aborigines, aktuell beispielsweise ein Programm im Northern Territory. Abgelegene Gemeinden, in denen die Mehrheit der Ureinwohner leben, sollen besser mit allgemeinen Diensten für Gesundheit, Bildung und Sicherheit versorgt werden. Im Gegensatz dazu werden die Bezüger staatlicher Leistungen aber zur Einkommensverwaltung verpflichtet, Alkohol und Pornografie sind verboten. Gegner kritisieren das Regierungsprogramm als Bevormundung.

«Ich wurde völlig falsch verstanden»

Am Tag nach der Attacke zeigte sich Premierministerin Gillard bei einem Anlass in der Nähe von Melbourne gefasst. «Ich wusste, dass man sich gut um mich sorgt. Es geht mir gut», sagte sie in die Fernsehkameras. Sie lobte die Sicherheitskräfte: «Die Polizei hat einen hervorragenden Job gemacht.»

Derweil ruderte Tony Abbott, der Auslöser des Eklats, zurück. «Ich wurde völlig falsch verstanden», klagte er gegenüber dem Sender «7 News». Er habe nicht gemeint, die Protestzelte sollten abgerissen werden. Sondern, dass sich die Situation heute anders darstelle als vor 40 Jahren, als die «Botschaft» errichtet wurde.

Ungeachtet dessen gingen die Proteste am Freitag weiter. Aufgebrachte Aktivisten verbrannten in Canberra australische Flaggen. Sie begleiteten die Aktion durch rhythmisches Klatschen, Gesang und Parolen. Auf ihrer Facebook-Seite fragen die Aktivisten von der Zeltbotschaft: «Was ist der Verlust eines Schuhs gegen den Verlust eines ganzen Kontinents?»

Der Schuh ist wieder da

Der mittlerweile wohl berühmteste Schuh Australiens ist im Übrigen wieder aufgetaucht. Aktivisten haben den marineblauen Lederschuh der Grösse 8 bei einem Sicherheitsbeamten des Parlaments abgegeben.

Zuvor war Gillards Schuh vermeintlich bei Ebay zu haben gewesen. «Sie bieten für einen gebrauchten Schuh», hiess es in der Anzeige. «Berücksichtigen Sie bitte auch, dass es sich um einen einzelnen Schuh handelt, nicht um ein Paar. Es wäre also schwierig, damit zu laufen, es sei denn, Sie sind die Premierministerin.» Weil das Internetauktionshaus einen Scherz vermutete, entfernte sie das Angebot nach einer halben Stunde wieder.

Das geschah am Australia Day

9.00 Uhr: Aborigines beginnen eine friedliche Demonstration in der Hauptstadt Canberra.

11.00 Uhr: Oppositionsführer Tony Abbott wird in einem Interview gefragt, ob das Protestzelt der Aborigines in Canberra noch relevant sei. Seine Antwort wird sinngemäss so verstanden, dass er sagt, «es ist Zeit, vorwärts zu gehen.»

14.00 Uhr: Wütende Aktivisten stürmen zum Restaurant «The Lobby», wo Premierministerin Julia Gibbard und Abbott nun in der Falle sind.

14.25 Uhr: Die Sicherheitskräfte der Politikerin bieten die Polizei auf, nachdem die Situation immer bedrohlicher wird.

14.30 Uhr: Etwa 50 Polizeibeamte beginnen, die Proteste aufzulösen.

14.40 Uhr: Gillard und Abbott flüchten, beschützt von ihren Bodyguards, in Sicherheit.

(Quelle: news.com.au)

Erinnerungen an Hollywood

«Er ist Australiens Antwort auf Kevin Costner.» So feiert der «Herald Sun» den Bodyguard, der Julia Gillard auf der Flucht fest im Arm hält. Die Zeitung berichtet auch davon, wie Frühstücks-Sendungen im Fernsehen die Bilder mit Whitney Houstons «I Will Always Love You» untermalt hätten, dem Hit aus dem Hollywood-Film «Bodyguard».

Nun rätselt Australien über die Identität des Bodyguards. Die Behörden haben sie nicht enthüllt. Dafür loben sie den Einsatz der Sicherheitskräfte. Ihr Motto laute «Weg und verstecken, nicht stehen bleiben und kämpfen». Das sei vorbildlich umgesetzt worden.

(Quelle: Herald Sun)

Deine Meinung