Maurer gegen GSoA«In Freiwilligen-Truppe gäbe es auch Rambos»
Ueli Maurer erklärt, weshalb die Schweiz die Wehrpflicht braucht: Freiwilligen sei nicht zu trauen. Seinen Töchtern rät der Verteidigungsminister: «Heiratet einen Offizier!»
- von
- S. Hehli/A. Fumagalli
Sie sprechen sich vehement gegen die GSoA-Initiative zur Abschaffung der Wehrpflicht aus, über die wir am 22. September abstimmen. Ist die Schweizer Armee derart unattraktiv, dass Sie zu wenige Leute für eine Freiwilligenmiliz finden würden?
Ueli Maurer: Die Wirtschaft ist zu attraktiv. Die Menge an Personal ist aber nur ein Faktor – wir brauchen auch Qualität. Und es kommt ein dritter Aspekt dazu: Wenn die Armee in einen Ernsteinsatz muss, herrscht eine schwierige Situation. Dann braucht die Truppe das Vertrauen der Bevölkerung. In einer Freiwilligentruppe wären auch Rambos darunter, Leute, die gerade keinen Job haben, oder Leuten, denen man sonst nicht vertraut. Vor einem Jahr sagte ein ausländischer-General zu mir: «Was, ihr wollt eine Freiwilligenarmee? Ihr habt doch keine Ghettos, wo wollt ihr denn rekrutieren?!»
Sie sprechen von Rambos. Ist das nicht ein Affront gegenüber den hochmotivierten Kampftruppen, die bereits jetzt das Rückgrat der Armee bilden – etwa die Panzergrenadiere?
Nein, das sind ja keine Rambos und ich freue mich über alle Leute, die gerne in die Armee kommen. Aber wenn wir einen Querschnitt aus allen Bevölkerungsgruppen haben, sind auch kritische Leute darunter, was nötig ist. Zudem besteht die grosse Stärke unserer Armee darin, dass bei uns alle Berufsgattungen vertreten sind. Bei den Genietruppen gibt es Zimmermänner, Maurer, Schreiner, Maschinenführer, Forstwarte. Bei einer Naturkatastrophe ist die die Armee innerhalb von 24 Stunden mit einer durch diese Leute gebildeten Einsatztruppe vor Ort. Wir haben keine Garantie, dass das mit einer Freiwilligenmiliz noch möglich wäre.
Bei einer Abstimmung unter unseren Lesern gaben von gut 7000 Teilnehmern 21 Prozent an, sie würden auf jeden Fall Militärdienst leisten, 27 Prozent machen dies von den Umständen abhängig. Ein solches Reservoir reicht doch aus, um jedes Jahr ein paar Tausend Leute – auch die Guten – zu finden.
Wir wissen es einfach nicht. Es stellt sich auch die Frage der wirklichen Freiwilligkeit. Wir sprechen jetzt von der Ausbildung, die Soldaten gehen bei schönem Wetter in den Bergen auf den Schiessplatz. Aber besteht die Freiwilligkeit auch dann noch, wenn ein Konflikt ausbricht? Wir brauchen eine beständige Organisation. Die Freiwilligkeit ist ein Riesenabenteuer.
Der Freiburger Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger vom bürgerlichen Komitee für die Initiative argumentiert, im Kriegsfall seien Soldaten besser geschützt als Zivilisten – dementsprechend fänden sich schon genug Leute.
Ja, genau darum sagt dann die Frau oder Freundin: Bleib bei mir zu Hause und beschütz mich! (lacht). Das ist der Preis der Freiwilligkeit. Dass es nirgends auf der Welt eine Freiwilligenmiliz im Sinne der GSoA gibt, spricht Bände. Die Freiwilligenarmeen im Ausland sind eigentlich Söldnerheere, die Soldaten müssen nicht alle zwei Jahre in einen Wiederholungskurs kommen und das mit Arbeit und Ferien unter einen Hut bringen.
In unserem Bekanntenkreis gibt es kaum jemanden, der Armeedienst leistet…
… dann müssen Sie den Bekanntenkreis wechseln! (lacht).
Die Zahlen sprechen für sich: Im Jura geht schon jetzt die Hälfte der jungen Männer nicht mehr in die Armee – ist die Wehrgerechtigkeit so nicht ein Mythos, von dem man sich getrost verabschieden kann?
Zuerst müssen wir festhalten: Die Tauglichkeit der jungen Männer hat sich in den letzten 20 Jahren nur um drei Prozent verschlechtert. Grob gesagt sind zum Zeitpunkt der Aushebung 20 Prozent untauglich, 15 Prozent bedingt tauglich und 65 Prozent militärdiensttauglich. Dann passiert dasselbe wie in der Berufswelt auch: Man geht ins Ausland, hat einen Unfall oder Rückenprobleme. Im Zivilen kann man sich umschulen lassen, im Militär wird man untauglich. Am Schluss macht aber die Hälfte eines Rekrutenjahrgangs den Dienst fertig.
Jeder junge Mann ohne Lust auf die RS kennt doch einen Kniff, mit dem er wegkommt – gerade Leute aus dem urbanen Mittelstand.
Aussagen, man sei mit Tricks vom Dienst weggekommen, muss man hinterfragen. Häufig stecken hinter einer Untauglichkeit körperliche oder psychische Probleme, die man nicht gerne zugibt. Man sagt nicht: «Ich kiffe, deshalb wollten sie mir keine Waffe geben.» Sondern: «Die habe ich schön überlistet!» Es gibt tatsächlich geografische Unterschiede: In städtischen Gebieten ist die Untauglichkeitsrate höher als in ländlichen. Aber das deckt sich mit den Indizien aus dem Gesundheitssystem: Die Bevölkerung in den Grossagglomerationen und in den entsprechenden Kantonen zahlt wesentlich höhere Krankenkassenprämien als Leute im Kanton Uri oder in der Ostschweiz. Diese sind offenbar gesünder.
Giardino-Präsident Hermann Suter sagte, man solle alle Bundesräte – ausser Sie – mit «Käse verschiessen». Ärgern Sie solche kontraproduktiven Aussagen mitten im Abstimmungskampf nicht?
Wir kennen im Zürcher Oberland den Ausdruck auch, er wird am Stammtisch häufig gebraucht. Damit will man sagen: Jemand kapiert etwas einfach nicht. Ich nehme nicht an, dass Hermann Suter als intelligenter Dr. Phil. den Bundesrat erschiessen will. So attraktiv es für die Medien ist, darüber zu schreiben – es ist nicht die Sache des Bundesrates, solche Aussagen zu kommentieren.
Die GSoA rechnet selber nicht mehr mit einem Sieg am 22. September. Trotzdem bleibt die Armee in einer Art Sinnkrise: Weit und breit ist kein militärischer Gegner in Sicht.
Ich glaube nicht, dass man von einer Sinnkrise sprechen kann. Aber die Frage stellte sich immer, wenn keine unmittelbare Bedrohung für die Schweiz vorhanden war. Vor ein paar Wochen haben wir in einer strategischen Übung auf Bundesebene einen Cyberangriff auf die Schweiz simuliert: Die Verkehrsleitsysteme wurden geknackt. Die Kantone haben innerhalb von ein paar Stunden 9000 Soldaten bestellt, um den Verkehr zu regeln. Soldaten statt Ampeln. Solche Ereignisse können täglich eintreten. Ebenso könnte es einen Terrorangriff geben. Wir können nicht innerhalb von drei Tagen eine Armee aufbauen, wir brauchen die Bereitschaft wie bei der Feuerwehr auch.
Die Schweizer Armee ist aber auch für einen konventionellen Krieg ausgerüstet. Wie gross ist die Gefahr, dass sie in einen solchen verwickelt werden könnte?
Dass es einen Krieg mit Panzerschlachten und Artilleriefeuer auf unserem Territorium geben könnte – das schliessen wir für den Moment eigentlich aus. Es kostet zu viel, der Kollateralschaden wäre riesig und es gibt feinere Möglichkeiten: Mit Cyberattacken kann man sehr viel Schaden anrichten. Wir entwickeln die Armee so weiter, dass sie auch solchen Herausforderungen begegnen kann.
Dann ist die Abschaffung der Panzertruppen und der Artillerie, die Sie in einem internen Bericht in Aussicht stellten, beschlossene Sache?
Nein, aber wir reduzieren ja einmal mehr. Die Artillerie mit ihrer Munition, die noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammt, könnten wir in der überbauten Schweiz nicht ohne die Gefahr von Kollateralschäden einsetzen. Hingegen braucht es vielleicht ein punktgenaues Feuer über grosse Distanzen. Bei den Panzertruppen sprechen wir von Kompetenzerhalt und geschützte Transportfahrzeuge für Truppen wird es aber sicher auch in Zukunft geben.
Sie galten lange als Anhänger einer konventionellen Armee. Schmerzt Sie dieser Schritt nicht?
Es handelt sich hier um absolute Notwendigkeiten, nicht darum, Traditionen zu pflegen. Die Armee hat den Auftrag, die Bevölkerung zu schützen. Ich mache manchmal einen Witz und sage, man hätte die Radfahrer, bei denen ich gedient habe, nicht abschaffen sollen. Aber sie haben in einer heutigen Armee selbstverständlich nichts mehr zu suchen. Wir haben eine Rekrutenschule für elektronische Kriegsführung und wir bauen ein geschütztes Einsatznetz auf, um gegen Cyberangriffe gewappnet zu sein.
Sie sagten in einem Interview, es solle wieder «cool» sein, Armeedienst zu leisten. Was heisst das?
Die Jungen sollen gerne in den Armeedienst gehen und stolz darauf sein, etwas für das Land leisten zu können. Das habe ich bei diesem RS-Besuch kürzlich erlebt. Ein Faktor sind auch die Frauen: Diejenigen, die selber Dienst leisten, sind absolut integriert. Die anderen Frauen wissen: Wenn sie einen Soldaten in Uniform kriegen, ist dieser gesund, kann Schuhe putzen und Betten machen. Das ist doch auch cool! Ich sage meinen Töchtern immer, sie sollen einen Soldaten heiraten, am besten einen Offizier – dann bekommt ihr Qualität (lacht).
In der Privatwirtschaft ist aber eine Militärkarriere im Gegensatz zu früher kein Pluspunkt mehr, im Gegenteil: Gerade bei grösseren und internationalen Konzernen gibts für die Absenzen kein Verständnis.
Man muss aufpassen mit solchen Verallgemeinerungen. Die Stimmung in der Wirtschaft hat wieder gekehrt, sie erkennt den Mehrwert der militärischen Ausbildung. Versicherungskonzerne zum Beispiel wollen Leute mit Offizierslaufbahn.
Neben der Wehrpflicht-Debatte treibt Sie derzeit auch die Gripenfrage um. Diese Woche berät die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats über die Beschaffung. Die Schweden verlangen nun eine Anzahlung von einer Milliarde – könnte der ganze Deal daran scheitern?
Ich schliesse nichts aus, dieses Geschäft hat eigene Gesetze. Für viele Leute im Parlament geht es nicht um die Frage, welchen Flieger wir brauchen, sondern sie wollen grundsätzlich den Kauf eines neuen Jets verhindern. Andere wollen einen teureren, besseren Flieger. Aber man muss festhalten: Der Gripen-Kauf mit den Garantien aus Schweden ist das am besten vorbereitete Geschäft, das die Schweiz je abschliessen kann. Mehr liegt nicht drin. Wir haben mit den Schweden so hart verhandelt , bis bei ihnen nicht nur der Schweiss floss, sondern sogar die ersten Blutstropfen.
Die SVP fordert immer harte Verhandlungen auf dem internationalen Parkett – hätten Sie den Schweden nicht noch bessere Konditionen abringen müssen?
Wenn ich sehe, zu welchen Konditionen die schwedische Armee selber die Jets bekommt, hätte ich schon lange einen Orden verdient (lacht). Nein, wir haben wirklich gut verhandelt.