Israels Impfstrategie : In Tel Aviv tanzen sie auf Tischen – wir können nur neidisch zuschauen

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Israels Impfstrategie In Tel Aviv tanzen sie auf Tischen – wir können nur neidisch zuschauen

Ein Video aus einer Bar in Tel Aviv unterstreicht den Erfolg der israelischen Impfstrategie deutlich. Tatsächlich hat das Land vieles richtig gemacht.

von
Ann Guenter

Tanzen auf den Tischen in Tel Aviv.

Twitter

Lebensfreude pur: In sozialen Medien kursiert ein millionenfach angeschautes Video, das ohne Masken feiernde Menschen in einer Tel Aviver Bar zeigt. Frauen tanzen ausgelassen auf dem Tisch zu Omer Adams Hit «Tel Aviv», der das wilde Nachtleben in der liberalsten Stadt des Nahen Ostens feiert.

Doch es ist nicht nur dieses Feiervideo, das uns sehnsuchtsvoll auf den Mittelmeerstaat mit seinen gut neun Millionen Einwohnern blicken lässt. Konzerte oder Gymbesuche sind wieder möglich, seit zehn Tagen sind Cafés und Restaurants geöffnet. Am Wochenende könnten, so berichten Medien, sogar Clubs wieder ihre Tore öffnen. Offen sind auch die Schulen und der Hauptflughafen mit Kapazitätsobergrenzen.

Ohne grünen Pass keine Freiheiten

Voraussetzung dafür, diese alten neuen Freiheiten geniessen zu können, ist ein Impfnach- und -ausweis für Corona-Geimpfte und Genesene. Auf diesen grünen Pass haben bereits vier Millionen Israelis Anspruch. Wer beispielsweise ins Restaurant will, kann das damit tun. Ohne Impfung und grünen Pass aber wird man nur im Aussenbereich bedient. «So besiegen wir das Coronavirus und kehren zurück zum Leben», schrieb Gesundheitsminister Juli Edelstein euphorisch auf Twitter. Dennoch: Unumstritten ist der grüne Pass auch in Israel nicht. Kritikern zufolge spaltet dieser die Gesellschaft und untergräbt das Recht auf die freie Entscheidung, sich impfen zu lassen.

In den letzten Wochen sind die Corona-Infektionszahlen in Israel stetig gesunken – obgleich sie weiterhin hoch sind und das Land nach wie vor als Hochinzidenzgebiet gilt. Die meisten Infizierten werden derzeit in der Altersgruppe der 10- bis 19-Jährigen verzeichnet.

Entsprechend betont Israels Corona-Beauftragter Nachman Asch unermüdlich, dass nicht alle Beschränkungen aufgehoben werden könnten, solange es im Land keine Herdenimmunität gegen das Coronavirus gebe. Dafür seien mindestens sieben Millionen Geimpfte und Genesene notwendig, sagte er dem Armeesender. «Bis dahin müssen wir weiter mit Einschränkungen leben.»

Auch der Militärgeheimdienst warnt vor Leichtsinnigkeit und drängt die Menschen dazu, weiter Masken zu tragen und Abstand zu halten. Über das Feiervideo aus Tel Aviv dürfte hier entsprechend wenig Freude herrschen.

Gute Gründe für den Erfolg

Die aktuellen Lockerungen wären ohne Israels Impfstrategie kaum möglich gewesen. Diese hatte am 19. Dezember begonnen und zählt zu den erfolgreichsten weltweit. Stand heute haben von den rund neun Millionen Israelis mehr als 55 Prozent eine Erstimpfung und fast 47 Prozent eine Zweitimpfung erhalten. Zum Vergleich: In der Schweiz wurden mit etwa gleich vielen Einwohnern wie Israel wurden bislang 12,74 Prozent erstmalig geimpft und 4,5 Prozent vollständig.*

Es gibt gute Gründe, wieso die Impfkampagne zu den schnellsten und erfolgreichsten weltweit zählt:

Verhandlungen ab Anfang November

In Israel wird mit Pfizer/Biontech gespritzt. Zu diesem Hersteller hat das israelische Gesundheitsministerium traditionell gute Beziehungen, so dass man bereits Anfang November mit den Verhandlungen begonnen hatte.

Kommt dazu, dass der israelische Premierminister Netanyahu persönlich auf Pfizer zugegangen ist und laut Medienberichten auch gewillt war, mehr für den Impfstoff zu zahlen als andere Länder. 17 Mal habe Netanyahu mit dem Pfizer-Boss Albert Bourla telefoniert, um die Lieferungen abzusichern, heisst es.

Wahlkampf

Für den Erfolg des Impfprogramms spielten Beobachtern zufolge auch die Wahlen vom 23. März mit hinein. So machte Premier Netanyahu die Kampagne zum Schwerpunkt seines Wahlkampfs und versprach dem Land, dank «seiner» Impfungen bis Ende März zur Normalität zurückkehren zu können.

Digitalisierung des Gesundheitswesens

Impfstoffhersteller Pfizer fand in Israel besonders gute Voraussetzungen für ein nationales Impfprogramm: Ein digitalisiertes Gesundheitswesen, in dem alle Bewohner gesetzlich versichert sind. Darüber hinaus werden Patientendaten von Krankenkassen, Medizinern und sogar dem Gesundheitsministerium geteilt – wegen des Persönlichkeitsschutzes undenkbar in der Schweiz.

Der quid-pro-quo-Deal

Impfhersteller Pfizer und Israel verständigten sich früh auf einen pragmatischen Deal: Israel stellt Pfizer/Biontech Impfdaten zur Verfügung. Im Gegenzug sorgt der Pharmakonzern dafür, dass genug Dosen bereitstehen, um schnellstmöglich eine Herdenimmunität zu erreichen.

Der grüne Pass

Der digitale Impfausweis gilt als ein weiterer Baustein in der erfolgreichen Impfkampagne: Israelis können den grünen Pass eine Woche nach der zweiten Covid-19-Impfung auf der Webseite des Gesundheitsministeriums oder über eine spezielle App bestellen. Das gilt auch für Menschen, die bereits eine Covid-19-Erkrankung durchgemacht haben und wieder genesen sind. Ein spezieller QR-Code auf dem Dokument enthält die persönlichen Daten des Inhabers.

* In einer ersten Version wurden veraltete Zahlen verwendet. Für den Fehler möchten wir uns entschuldigen.

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