Soziologe Ganga Jey Aratnam«Inländer werden auf dem Schweizer Arbeitsmarkt benachteiligt»
Der gebürtige Sri Lanker Ganga Jey Aratnam (50) ist Migrationsforscher. Mit dem «Tages-Anzeiger» sprach er über Vielfalt, Expats und warum Schweizer und Schweizerinnen berufsmässig oft einen schweren Stand haben.
Darum gehts
Ein Soziologe verortet in der Schweiz Ungerechtigkeiten, weil Fachleute mit schlechter ausgebildeten Ausländern gleichgestellt würden, die bessere Titel tragen.
Dies sei so, weil die Schweizer Hürden etwa für eine Matur höher seien.
Ganga Jay Aratnam (51) ist Soziologe an der Uni Basel. Er forschte unter anderem zu Reichtum, Arbeitsmarkt und Migration und kennt die offiziellen Zahlen der Statistiker zum Thema. Im «Tages-Anzeiger» nimmt er etwa Stellung zu den hohen Zahlen von gut ausgebildeten Migranten, die in die Schweiz strömten und vielen Schweizerinnen und Schweizern vor der Sonne stehen würden: «Strukturell werden Inländerinnen und Inländer auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt», sagt er.
Mit den eigenen Leuten sei es unmöglich zu erreichen, dass Schweizer Unternehmen überall Weltspitze seien, erklärt Aratnam auf die Frage, warum viele Ausländer Führungsjobs ausfüllen: «Das Repertoire ist schlicht zu klein.» So hole man die Spitzenkräfte von aussen. Gleichzeitig würden aber Schweizerinnen und Schweizer auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt, glaubt er. Dies führt er zu grossen Teilen auf das duale Ausbildungssystem zurück, das «mit den internationalen Titeln nicht mithält.»
«Ausländer haben bessere Titel»
Denn Ausländer mit gleichen Qualifikationen hätten meist bessere Titel inne und würden deshalb vorgezogen. «Oft werden im Arbeitsmarkt unsere hervorragend ausgebildeten Fachleute mit schlechter ausgebildeten Ausländern gleichgestellt, weil diese den gleichen oder sogar den besseren Titel haben.» In der Schweiz würden nur 22 Prozent der Jugendlichen eine Matur machen, in Deutschland hingegen rund 40 Prozent. Dies habe etwa dazu geführt, dass mittlerweile 54 Prozent der Doktorierenden an Schweizer Unis aus dem Ausland stammten. Auch in der Privatwirtschaft würden Ausländer oft den Vorzug vor Schweizer Mitbewerbern erhalten, weil sie «die richtigen Diplome» hätten.
So würde er sich wünschen, dass die Gymiquote erhöht würde. «Wir haben in den letzten Jahren die Zutrittshürden für viele Berufe erhöht, aber nicht mehr Leute entsprechend ausgebildet», erklärt er. «In die Lücke springen die Migranten aus Ländern mit einer viel höheren Gymiquote.»
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Auch bei der Gleichstellung verortet Aratnam Defizite: 91 Prozent der weiblichen Geschäftsleitungsmitglieder in den SMI-kotierten Betrieben seien Ausländerinnen. «Das ist ein deutlich höherer Anteil als bei den männlichen Führungskräften. Das bedeutet: Sogar die Emanzipation müssen wir importieren», folgert er.
«Wir brauchen auch Asylbewerber»
Hintergrund des Gesprächs war die starke Migration in die Schweiz in den letzten Jahren. «Die Schweiz hält mit ihrem Bevölkerungswachstum nicht Schritt», so Aratnam. Wenn sich etwa ein grosser Konzern hier ansiedle, bilde sich ein «Dienstleistungs-Cluster», der erneut Einwanderung nach sich ziehe: «Unternehmen brauchen Anwaltskanzleien, Finanzservice, Infrastruktur, die Führungskräfte stellen für ihre Kinder Nannys ein und so fort. Durch die Ansiedelung von Rohstofffirmen zum Beispiel sind mehr Stellen rundherum entstanden als in den Firmen selber.»
«Wir brauchen nicht nur hochqualifizierte Migranten aus der EU, unser Arbeitsmarkt will auch Asylbewerber», sagt er aber auch. «Früher hat die Schweiz niedrigqualifizierte Italiener, Spanier und Portugiesen als Arbeitskräfte geholt, heute nehmen zunehmend die Asylbewerber ihre Rolle ein. Die Schweiz ist nicht sauber, weil wir so sauber sind, sondern weil geputzt wird, meist durch Migranten.»
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