Cazis GR – Insassen im «modernsten Gefängnis der Schweiz» proben den Aufstand

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Cazis GRInsassen im «modernsten Gefängnis der Schweiz» proben den Aufstand

Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Cazis Tignez in Graubünden erheben Vorwürfe gegen die Anstaltsleitung und fordern eine unabhängige Untersuchung. An der Direktorin prallt die Kritik ab.

von
Daniel Krähenbühl
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Die Justizvollzugsanstalt in Cazis GR ist auf dem neusten Stand. Erst seit 2019 ist sie in Betrieb. 

Die Justizvollzugsanstalt in Cazis GR ist auf dem neusten Stand. Erst seit 2019 ist sie in Betrieb.

JVA Cazis Tignez
Rund 80 Insassen reichen nun aber Beschwerde gegen die Anstaltsleitung ein und fordern eine unabhängige Untersuchung des Vollzugsalltags.

Rund 80 Insassen reichen nun aber Beschwerde gegen die Anstaltsleitung ein und fordern eine unabhängige Untersuchung des Vollzugsalltags.

JVA Cazis Tignez
Unter anderem beanstanden die Häftlinge die geltenden Besucherregeln, die Überwachung und Kontrolle von Telefonaten und Paketpost und die fehlende Zeit für für sportliche Aktivitäten.

Unter anderem beanstanden die Häftlinge die geltenden Besucherregeln, die Überwachung und Kontrolle von Telefonaten und Paketpost und die fehlende Zeit für für sportliche Aktivitäten.

JVA Cazis Tignez

Darum gehts

  • Rund 80 Insassen der Justizvollzugsanstalt Cazis Tignez kritisieren die Anstaltsleitung und die Haftbedingungen in einem offenen Brief stark.

  • Die Direktorin der JVA, Ines Follador-Breitenmoser, lässt die Kritik nicht gelten. So seien die meisten Punkte entweder auf die Hausordnung oder die für Justizvollzugsanstalten konkordatlichen Richtlinien zurückzuführen.

Es ist das «modernste Gefängnis der Schweiz»: Erst vor zwei Jahren fand Schlüsselübergabe für die 119 Millionen Franken teure Justizvollzugsanstalt Cazis Tignez in Cazis GR statt. Den maximal 152 Insassen – Männern, Frauen und Jugendlichen – soll ein «zeitgemässer Strafvollzug» ermöglicht werden.

Jetzt werden aber bereits heftige Vorwürfe laut: Rund 80 Insassen, die sich in einem offenen Brief unter anderem auch an Bundesrätin Karin Keller Sutter wenden, reichen Beschwerde gegen die Anstaltsleitung ein und fordern eine unabhängige Untersuchung des Vollzugsalltags. Die Häftlinge bemängeln den Führungsstil der Direktorin, die Haftbedingungen und die Abläufe im Gefängnis.

Psychischer und physischer Druck auf Gefangene

Die Häftlinge beanstanden etwa die geltenden Besucherregeln, die Überwachung und Kontrolle von Telefonaten und Paketpost und die fehlende Zeit für sportliche Aktivitäten: Die laut Gesetz vorgeschriebene Stunde Freigang wird in Cazis aufgeteilt. 30 Minuten reichten jedoch nicht, um sich etwa umzuziehen, Sport zu treiben, zu duschen und dann wieder rechtzeitig bei der Arbeit zu sein, so die Insassen (siehe Box). Auch das Bundesamt für Justiz hat Kenntnis vom Brief, der 20 Minuten vorliegt. Der Straf- und Massnahmenvollzug liege aber in der Verantwortung der Kantone, heisst es auf Anfrage.

«Es ist nicht vertretbar, wie mit den Insassen umgegangen wird. Wir sind schliesslich auch Menschen», schreibt ein Vertreter der Gruppe im Brief. Man sei von den Regelungen stark eingeschränkt und man werde psychisch und physisch derart systematisch unter Druck gesetzt, dass eine Resozialisierung nur sehr schwer sei oder gar verunmöglicht werde. «Es entsteht der Eindruck, dass sich die Anstaltsleitung einen Namen machen will unter all den Gefängnissen in der Schweiz», so der Vorwurf.

Kritikpunkte der Häftlinge

  • Sport und Freizeit: Die Insassen bemängeln die Platzverhältnisse im Fitnessraum und fordern mehr Zeit für sportliche Aktivitäten. So sei der Fussballplatz für Häftlinge Tabu, seit der Eröffnung der Anstalt sei dieser noch kein einziges Mal benutzt worden.

  • Pausenzeiten: Der tägliche Auslauf von einer Stunde wird zweigeteilt: Je 30 Minuten am Morgen und am Nachmittag. Dies mache es unmöglich, diese Zeit sportlich oder spielerisch zu nutzen, so die Insassen. Zudem dürfe man auf den Hofgang weder Lebensmittel noch Bücher mitnehmen.

  • Kontakte zur Aussenwelt: Es fehle ein Familienzimmer wie in anderen JVAs.

  • Überwachung: Nur zehn Telefonkontakte seien zugelassen, die Telefonate werden – mit Ausnahme der Anwaltsgespräche – abgehört. Zudem seien die Tarife sehr hoch (Eine Minute kostet 30 Rappen). Kritik wird auch am Handling mit der Brief- und Paketpost geäussert: So werde jeder Brief geöffnet und gelesen – auch die Anwaltspost.

  • Medien: Weder Walkman, Mp3-Gerät noch sonstige Musikanlagen seien gestattet. Der von der JVA für 15 Franken pro Monat zur Verfügung gestellte Laptop «Prison Media» stürze regelmässig ab und sei nicht benutzbar.

«Resozialisierung ist keine Einbahnstrasse»

Das lässt die Direktorin der JVA Cazis Tignez, Ines Follador-Breitenmoser, nicht gelten: «Die Insassen haben zweimal die Woche die Möglichkeit, eine Stunde lang Sport zu treiben.» Man nehme die Kritik nicht auf die leichte Schulter. «Die anderen Punkte sind aber entweder auf die Hausordnung oder die für Justizvollzugsanstalten konkordatlichen Richtlinien zurückzuführen. Gewisse Einschränkungen wurden auch in Bezug auf die Corona-Pandemie eingeführt.» Dass die Mehrheit der Häftlinge den Brief unterschrieben habe, heisse ebenfalls nicht viel, so Follador-Breitenmoser: «Ein solcher Brief kursiert schnell, viele unterzeichnen ihn, auch wenn sie den genauen Inhalt gar nicht kennen oder verstehen.»

Wie die Direktorin betont, bemühe sich die Anstaltsleitung, die Insassen bei der Resozialisierung zu unterstützen. «Es ist jedoch keine Einbahnstrasse, auch der Häftling muss sich bemühen, muss aktiv mitwirken.» Sie müsse niemandem beweisen, wie streng die Anstalt oder sie selbst sei. An die geltenden Regeln müsse sich jedoch jeder halten, sagt Follador-Breitenmoser. «Das und der respektvolle Umgang miteinander sind für das Zusammenleben derart vieler Menschen aus zahlreichen Staaten und Kulturen auf kleinem Raum unentbehrlich.»

So sieht der JVA-Alltag aus

6.50 Uhr: Zelle wird aufgeschlossen. Frühstück (freiwillig)
7.45 Uhr: Ausrücken zur Arbeit
8 Uhr: Arbeitsbeginn (Küche, Wäscherei, Schreinerei, Haus- und Reinigungsdienst, Shop, Bibliothek, Industrie oder Atelier)
9.15 bis 9.45 Uhr: Pause im Innenhof, mit der Möglichkeit, in die Garderobe zu gehen
9.50 bis 11.45 Uhr: Arbeit
12 bis 12.15 Uhr: Mittagessen (obligatorisch)
12.15 bis 13 Uhr: Zellenfreigang
13.15 Uhr: Arbeit
15 bis 15.30 Uhr: Pause
15.30 bis 16.45 Uhr: Arbeit
17 bis 17.15 Uhr: Nachtessen
17.15 bis 19.45 Uhr: Zellenfreigang oder Sport (einmal pro Woche), Englischkurs oder andere Aktivitäten
19.45 Uhr: Zelleneinschluss

Zusätzlich einmal pro Woche: Sport von 15.30 bis 16.30 Uhr.

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