Flüchtlingsdebatte nach Köln«Integration vom ersten Tag an einfordern»
Migrationsexperte Thomas Kessler sagt, in der Integration ersetze der Staat den fehlenden Vater. Zentral seien auch effektive Grenzkontrollen.
- von
- daw
In Basel entwickelte Thomas Kessler ein Modell zur Integrationsförderung, das schweizweit Schule machte. In der Flüchtlingskrise sieht der langjährige Migrationsbeauftragte die Schweiz besser gerüstet als etwa Deutschland, weil hierzulande bereits fortschrittliche Integrationsgesetze bestehen. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» verlangt er im Nachgang der Ereignisse der Kölner Silvesternacht, die Vorschriften konsequent umzusetzen. Dazu zählten verbindliche Integrationsvereinbarungen, «mit denen wir Integration vom ersten Tag an einfordern», aber auch Gratis-Kurse in Deutsch und Gleichstellung sowie Begrüssungsgespräche.
Laut dem 56-Jährigen muss die Integration bereits an der Grenze beginnen. Die Unterbestände bei der Grenzwache kritisiert er scharf. «An unserer Grenze müssen wir alle Flüchtlinge erfassen – und dazu bräuchten wir 250 zusätzliche Grenzwächter.» Für die Kriegsabwehr gebe man Milliarden aus, aber die Rechtsordnung im Alltag habe Lücken.
Respekt durch Kontakt mit Behörden
Die Kontrollen seien wichtig, damit die Asylsuchenden merkten, dass man sich in der Schweiz den gesellschaftlichen Normen anpassen muss. «Es muss von Anfang an klar sein: Reist man in die Schweiz ein, wird man registriert oder meldet sich an.» Über den Kontakt mit den Behörden bauten die Migranten den Respekt vor dem Aufnahmestaat auf. «Er muss ihnen gegenüber präsent und potent sein.»
Gerade junge Männer bräuchten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus eine klare Tagesstruktur, so Kessler. «Die Schweiz definiert sich calvinistisch über die Arbeit: Wer arbeitet oder anderweitig beschäftigt ist, nimmt an der Gesellschaft teil.» Die Schweizer Bevölkerung sei grundsätzlich hilfsbereit, gleichzeitig sei sie empfindlich gegenüber Missbräuchen. «Auch deshalb brauchen wir in der Integrationspolitik einen funktionierenden, starken Staat. Er ersetzt quasi den fehlenden Vater.» Die geplanten Sparmassnahmen bei der Integration (siehe Box) findet er darum falsch.
Kein «romantischer Bezug» zur Migration
Die Übergriffe in Köln erklärt Kessler unter anderem mit der hochneurotischen Beziehung zur Sexualität, welche im Maghreb und in den Kriegsgebieten des Nahen Ostens vorherrschten. Während es dort in den Familien entsprechend rigide Kontrollmechanismen gebe, fehlten diese, wenn sich die jungen Männer in Europa in grossen Gruppen treffen. Wo keine Sanktionen drohten wie in der Heimat, «wo also der strenge Vater fehlt, kann der Mob durchbrechen».
Die Schweiz könne nun davon profitieren, dass sie seit 1870 ein Einwanderungsland sei, so Kessler. «Wir sprechen offen über Migration und stimmen ständig darüber ab. Unser Bezug zur Migration ist nicht romantisch, sondern pragmatisch – man könnte es auch eine provinzielle Skepsis nennen.» Deutschland und die skandinavischen Staaten dagegen seien «überrumpelt». «Und gerade dort sind patriarchale Verhaltensweisen geächtet und der öffentliche Diskurs auf Correctness getrimmt.»
Sparen bei der Integration
Wie aus den Unterlagen zum Stabilisierungsprogramm 2017 bis 2019 herausgeht, will der Bund die Beiträge kürzen, welche er den Kantonen für die Integrationsförderung bezahlt. Mit dieser Massnahme sollen in den nächsten drei Jahren 23,3 Millionen Franken eingespart werden. Besonders die Integrationspauschale von 6000 Franken sorgt dabei für Diskussionen. Dieser Betrag bezahlt der Bund den Kantonen pro aufgenommene Person und anerkannten Flüchtling einmalig. Damit sollen die berufliche Integration und der Erwerb einer Landessprache gefördert werden. Ursprünglich plante der Bund, diesen Beitrag um zehn Prozent zu erhöhen, darauf will er nun aber verzichten. (phi)