Heftige Debatte auf Twitter«Intoleranz gewisser Linker» – Nazi-Vergleich nach Nebelspalter-Karikatur
Linke Twitter-User übten scharfe Kritik am Nebelspalter, haben aber offenbar die Satire nicht verstanden. Solche vorschnellen Urteile sind laut einem Soziologen schädlich für die Diskussionskultur.
- von
- Daniel Graf
Darum gehts
Eine Karikatur des Satiremagazins «Nebelspalter» wird von linken Twitter-Usern als Beweis dafür genommen, dass das Magazin unter dem neuen Chefredaktor Markus Somm einen rechten Kurs fährt.
Die Redaktion des traditionell eher linken Magazins wehrt sich: Somm habe nichts mit der Karikatur zu tun gehabt.
Laut eines Experten war die Reaktion der Linken übertrieben, sie hätten die Satire schlicht missverstanden.
Eine Karikatur im Satiremagazin Nebelspalter hat hohe Wellen geschlagen. Sie zeigt zwei weisse Touristen im Swimmingpool, umringt von Schwarzen Personen, die ängstlich auf Hotelbalkonen stehen. Der eine Tourist zum anderen: «Zum Glück sind diese Bootsflüchtlinge am Anfang ziemlich wasserscheu!»
Die Zeichnung spielt darauf an, dass auf den Kanarischen Inseln Flüchtlinge, die teils unter prekärsten Bedingungen mit Booten ankommen, vorläufig in leeren Touristenhotels untergebracht werden sollen.
Der Verantwortliche war für die Twitter-Gemeinde schnell gefunden: Seit Kurzem gehört der Nebelspalter Markus Somm, der das Magazin als Chefredaktor digital neu lancieren will. Bekennende Linke wie der Historiker Philipp Sarasin oder Rapper Knackeboul machten ihrem Ärger auf Twitter Luft. Sie fanden die Karikatur rassistisch und sahen darin den neuen Kurs, den Somm mit dem Nebelspalter fahren werde. Knackeboul äusserte gar einen Nazi-Vergleich.
Redaktion wehrt sich
Doch die Nebelspalter-Redaktion stellte schnell klar, dass Markus Somm nichts mit der Karikatur zu tun habe. Die «alte Crew», also die der eher linken Redaktion, fungiere völlig unabhängig. Die Karikatur sei ausserdem bereits im Februar im gedruckten Nebelspalter erschienen – damals habe sich niemand daran gestört.
Für den neuen Nebelspalter-Besitzer Somm zeigt dies «die totale Intoleranz bei gewissen Linken». Sie wollen laut Somm gar keine Argumente hören, sondern würden von ihren Ressentiments leben. «Das ist schade und schädlich für die Diskussionskultur», sagt Somm.
Nazi-Vergleich wohl ohne Konsequenzen
Dass er gar als Nazi bezeichnet worden sei, quittiert Somm so: «Ich würde Knackeboul raten, wieder einmal ein Buch zu lesen. Wer mit solchen Begriffen um sich wirft, zieht die verheerenden Taten der Nazis ins Lächerliche.» Ob Somm rechtliche Schritte einleiten werde, könne er noch nicht definitiv sagen. «Ich denke aber eher nicht. Es gibt Vorwürfe, mit denen beschäftigt man sich lieber gar nicht erst.» Dass es strafbar sein kann, jemanden öffentlich Nazi zu nennen, bestätigt der Basler Rechtsanwalt David Gibor (siehe unten).
Knackeboul arbeitet beim Newsportal Watson. Dort heisst es auf Anfrage, man überwache die Social-Media-Aktivitäten seiner Mitarbeiter nicht. «Allfällige Mitarbeitergespräche bei Watson sind vertraulich, ebenso allfällige Konsequenzen daraus», sagt Chefredaktor Maurice Thiriet. Auch Knackeboul selber will sich nicht weiter zum Thema äussern.
«Erst überlegen, ob man die Karikatur versteht»
Für Guido Keel, Journalismusprofessor an der ZHAW mit besonderem Interesse für Satire und Karikaturen, war die Reaktion der linken Kritiker übertrieben: «Sie hätten sich wohl erst überlegen müssen, ob sie die Karikatur richtig verstanden haben.» Das sei häufig das Problem von Satire. «Man erkennt nicht, was eigentlich kritisiert wird und meint, sie mache sich auf Kosten von Schwachen lustig. Doch gerade bei der Leserschaft eines satirischen Blattes wie des Nebelspalters müsste ein gewisses Verständnis vorhanden sein, dass sich das Ziel der Satire nicht auf den ersten Blick erschliesst.»
Keel habe gleich erkannt, dass der Karikaturist mit seiner Kritik an den Touristen möglicherweise missverstanden werde. Problematisch sei für den Experten, dass die Karikatur offenbar nur vor dem Hintergrund der Übernahme des Blattes durch Somm beurteilt worden sei.
«Unterstellungen sind schädlich für die Diskussionskultur»
Dass wir Botschaften anders wahrnehmen, je nachdem, von wem sie kommen, ist laut dem Soziologen Ueli Mäder kein neues Phänomen. «Es ist richtig, dass wir bei der Beurteilung etwa einer Karikatur auch beachten, von wem sie stammt und in welchem Umfeld sie publiziert wurde. Der veränderte Kontext kann auch den Inhalt verändern.»
Wichtig sei aber, dass man stets auch die eigenen Ressentiments genau im Blick behalte: «Das Beispiel veranschaulicht, dass eigene Erwartungshaltungen uns zu vorschnellen Überlegungen verleiten können. Demokratie lebt von einer offenen Kultur der intensiven Auseinandersetzung, bei der es lebendig zu- und hergehen darf. Dem Gegenüber eine Absicht zu unterstellen, ohne die Umstände genau geprüft zu haben, ist für die Diskussionskultur aber schädlich.»
Üble Nachrede
Laut Rechtsanwalt David Gibor ist es strafrechtlich relevant, jemanden als «Nazi» zu bezeichnen. Dies sei grundsätzlich als Ehrverletzung, genauer, als üble Nachrede, zu qualifizieren. «Die verletzte Person kann Strafantrag bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft stellen. Sollte es zu einer Untersuchung kommen, hat die beschuldigte Person die Möglichkeit, einen Wahrheits- oder Gutglaubensbeweis zu erbringen, also nachzuweisen, dass er eine begründete Veranlassung hatte, sich in dieser Weise zu äussern.» Falls der beschuldigten Person der Entlastungsbeweis nicht gelinge, liege eine strafbare Ehrverletzung vor. Die Konsequenzen seien in der Regel aber eher gering, da in der Praxis solche Äusserungen mit einer bedingten Geldstrafe sanktioniert würden.