Genfer Tausendsassa: Ist McSorley zu weit gegangen?

Aktualisiert

Genfer TausendsassaIst McSorley zu weit gegangen?

Servette-Coach Chris McSorley orderte nach Fribourgs Ausgleich in letzter Sekunde sein Team aus Protest in die Kabine und kam erst mit Verspätung wieder zurück - unbestraft. Bisher.

Klaus Zaugg
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Klaus Zaugg
Chris McSorley hält einmal mehr die Liga auf Trab.

Chris McSorley hält einmal mehr die Liga auf Trab.

In der letzten Sekunde (60:00) trifft Fribourgs Simon Gamache am Freitag in Genf zum 3:3. Gilt das Tor noch? Oder ist die Zeit schon abgelaufen? Diskussionen. Aufgebrachtes Publikum. Wurfgegenstände auf dem Eis.

Wenn es während der Qualifikation zur einer fünfminütigen Verlängerung kommt, bleiben die Mannschaften auf der Spielerbank. Doch Servette-General Chris McSorley schickt seine Spieler in die Kabine. Was den Eindruck erweckt, das Tor sei nicht gültig und das Spiel vorbei.

Head Daniel Stricker gibt das Tor – und die TV-Bilder bestätigen, dass dieser Entscheid richtig ist. Die Verlängerung muss gespielt werden. Aber Servettes Spieler sind nicht mehr da. Bis Chris McSorley mit seinen Jungs schliesslich bereit ist die Verlängerung zu spielen, vergehen mehrere Minuten in einer aufgeheizten Atmosphäre. Die Overtime hätte zwischen fünf und acht Minuten früher beginnen können, wenn die Genfer nicht in der Kabine verschwunden wären.

Wollte McSorley den Schiedsrichter beeinflussen?

Die grosse Frage nun: Hat Chris McSorley mit der Mannschaft die Spielerbank verlassen, um den Eindruck zu erwecken, das Spiel sei vorbei, das Tor zähle nicht? Hat er so bewusst Druck auf Head Daniel Stricker aufgebaut?

Für Fribourgs Trainer Hans Kossmann, jahrelang Assistent von Chris McSorley ist klar: «Ja natürlich, so ist es.» Der Servette-Trainer sieht die Dinge gegenüber 20 Minuten Online anders: «Es war offensichtlich, dass die Eisreinigung etwas dauern würde. Also habe ich die Mannschaft in die Kabine beordert und neu gruppiert. Ich habe meinen Spielern gesagt: Ihr hat grossartig gespielt und ihr hättet drei Punkte verdient. Jetzt sorgt dafür, dass wir wenigstens zwei Punkte holen.» Das gelingt: Servette gewinnt die Partie nach Penaltyschiessen 4:3. Warum ist Hans Kossmann mit seinem Team nicht auch in der Kabine verschwunden? Kossmann: «Weil wir ja noch die Verlängerung zu spielen hatten ...» Da Daniel Stricker Servette nicht mit einer Zweiminutenstrafe für Spielverzögerung belegt, deponiert Fribourgs Trainer einen Spielfeldprotest. Am Sonntagvormittag hat er diesen Protest wieder zurückgezogen, das Resultat (4:3 n.P. für Servette) ist rechtsgültig.

Die Liga befasst sich mit dem Fall

Aber Chris McSorley ist noch nicht aus dem Schneider. Darf die Liga es hinnehmen, dass ein Trainer zwischen Spielende und Verlängerung mit seinem Team in der Kabine verschwindet und nicht rechtzeitig zurück ist, wenn die Verlängerung beginnt? Dass ein Trainer so auf den Schiedsrichter Druck macht? Das sind die Fragen, die am Montag im Büro der Liga in Ittigen bei Bern diskutiert werden. Juristisch ist der Fall gemäss Schiedsrichter-Chef Reto Bertolotti klar: «Im Reglement steht nicht, dass die Spieler zwischen Ende des Spiels und Beginn der Verlängerung auf der Bank bleiben müssen.» Chris McSorley hat also eine Reglementslücke schlau ausgenützt. Es geht letztlich wieder einmal um eine Beurteilung des Benehmens des cleveren Kanadiers. Um die Frage: Ist Chris McSorley wieder einmal zu weit gegangen?

Liga-Chef fordert Änderungen

Liga-Chef Ueli Schwarz sagt, er wolle zuerst alle Fakten auf dem Tisch haben und dann erst entscheiden. Deshalb die Sitzung am Montag. Aber so oder so steht für ihn fest: «Nach dieser Saison werden neue Hintertorkameras eingebaut. Auf diesen neuen Kameras muss die Stadionuhr ersichtlich sein.» Die jetzt 15-jährigen Bildermaschinen sind, anders als die TV-Bilder, nicht mit der Stadionuhr gekoppelt, und der Schiedsrichter hat während der Qualifikation keinen Zugriff auf die TV-Bilder. Ausgerechnet im Land der Uhren müssen die Schiedsrichter in so heiklen Situationen die Zeit schätzen. Wie in einer Operettenliga. Daniel Stricker musste sich in Genf auf seine eigenen Beobachtungen und jene seiner Linienrichter verlassen und unter maximalem Druck entscheiden, ob Servette verloren hat oder ob es eine Verlängerung gibt. Die Schiedsrichter als «Zeit-Schätzer» im Land der Uhren. Ein Wahnsinn. Schwarz: «Die Auswertung der TV-Bilder hat ergeben, dass Strickers Entscheid richtig ist.»

Aus Kostengründen sind die TV-Bilder für die Schiedsrichter nur während der Playoffs einsehbar. Schwarz überlegt sich noch eine andere Möglichkeit: Die Einrichtung eines «War Room» nach dem Vorbild der NHL: In einem Büro werden alle Spiele von den Funktionären am TV überwacht. Sie haben dort Zugriff auf sämtliche TV-Bilder und wenn es ein Problem gibt, schaut der Schiedsrichter nicht mehr selber das Video im Stadion. Sondern ruft im «War Room» an und bekommt von dort den Bescheid. «Wir haben mit dem Teleclub über diese Möglichkeit schon gesprochen», sagt Schwarz gegenüber 20 Minuten Online. «Es wäre machbar und im Sinne einer Professionalisierung unserer Liga auch wünschenswert. Aber es kostet zu viel.»

Die Klubs geben sich knausrig

Wenn es um die Verbesserung der Qualität geht, geben sich die Klubs knausrig: Sie weigern sich, die Kosten für vier Schiedsrichter pro Partie zu bezahlen (weshalb wir während der Qualifikation manchmal zwei und manchmal nur einen Headschiedsrichter haben) und gemäss Schwarz sei man auch nicht bereit, die Mehrkosten für einen «War Room» zu bezahlen. Diese Kosten liegen zwischen einer halben und einer ganzen Million. Zum Vergleich: So viel kostet ein ausländischer Spieler.

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