Istanbul: Wie die Hölle

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Istanbul: Wie die Hölle

Abgerissene Körperteile fliegen durch die Luft, Autos stehen in Flammen, Fensterscheiben gehen zu Bruch. Man kann Rauch sehen, und die Luft riecht nach Schwefel.

Nur fünf Tage nach den Anschlägen auf zwei Synagogen sahen sich die Bewohner Istanbuls am Donnerstag erneut Szenen des Grauens ausgesetzt. Diesmal wurden innerhalb weniger Minuten der Sitz einer britischen Bank und das britische Konsulat zu den Zielscheiben von Attentätern. Mindestens 27 Menschen wurden getötet, darunter der britische Generalkonsul Roger Short, und fast 450 weitere verletzt.

«Ich dachte, jemand wäre von hinten auf unseren Bus aufgefahren», sagte Augenzeuge Mehmet Altan, der nahe der HSBC-Bank in einem Bus fuhr, unter Tränen. «Dann habe ich schwarzen Rauch aufsteigen sehen. Überall um uns herum wurden Autos beschädigt. Ich habe den verkohlten Körper eines Fahrers am Steuer gesehen.» Busfahrer Necati Erkek sagte: «Nach der Explosion waren die Türen des Busses blockiert. Fahrgäste haben die Fenster eingeschlagen, um hinaus zu kommen. Überall lagen Körperteile.»

Ein weiterer Augenzeuge, der sich zum Zeitpunkt der Detonationen in der Nähe des britischen Konsulats aufhielt, hält den Fahrer eines weissen Kleinlastwagens für den Attentäter. «Ich habe das Quietschen von Bremsen gehört, und zehn Sekunden später kam die Explosion», erklärte der 29 Jahre alte Hakan Kozan. Mehmet Celik, der bei dem Anschlag leicht verletzt wurde, sagte, vor dem HSBC-Gebäude sei ein hellbrauner Kleinlaster explodiert.

Ein HSBC-Mitarbeiter sprach von einem «Blutbad nach der Explosion», wie die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Ein Tourist aus den USA, der zu Fuss in der Nähe des britischen Konsulats unterwegs war, sagte: «Ich habe eine Serie von Explosionen gehört. Ich dachte, es sei ein Echo. Man konnte Rauch sehen, und die Luft roch nach Schwefel.»

Die erste Detonation erschütterte gegen 11 Uhr Ortszeit (10 Uhr MEZ) die türkische Zentrale der HSBC, der zweitgrössten Bank der Welt. Die Fassade des 18-stöckigen Gebäudes bröckelte ab, aus den oberen Etagen strömte Wasser, und an den umliegenden Hochhäusern zersplitterten Fensterscheiben. Die Bombe riss einen drei Meter tiefen Krater in den Boden. Von Staub überzogene, blutüberströmte Passanten liefen zwischen Reihen von Sanitätswagen hindurch. Freiwillige halfen bei der Rettung Verletzter.

US-Konsulat vor wenigen Monaten umgezogen

Fünf Minuten später brachte die zweite Explosion die Mauer um den Garten des britischen Konsulats im Stadtbezirk Beyoglu zum Einsturz. Anadolu meldete unter Berufung auf die Polizei, ein als Fahrzeug eines Catering-Unternehmens getarnter Lieferwagen habe versucht, auf das Konsulatsgelände zu fahren. Der bei der ersten Detonation eingesetzte Lieferwagen sei vor der HSBC-Bank geparkt worden.

Die Mitarbeiter des Goethe-Instituts in Istanbul erlebten den Anschlag als gewaltige Explosion in unmittelbarer Nachbarschaft mit. «Das ganze Haus hat hier gewackelt,» sagte der Telefonist des Instituts, Ali Cakici, der Nachrichtenagentur AP in einem Telefoninterview. Mitarbeiter des Instituts seien jedoch nicht verletzt worden. Auch das Gebäude, das sich in 100 Metern Entfernung vom britischen Konsulat befindet, sei nicht beschädigt worden.

«Einige Leute sind zu uns gekommen und haben erzählt: Es war fürchterlich, wie die Hölle,» sagte der Mitarbeiter weiter. Im Umkreis von 50 Metern um das Konsulat seien alle Scheiben zu Bruch gegangen. «Wir waren alle auch eine Stunde nach der Explosion noch ganz im Schock», sagte Cakici. Die 30 Mitarbeiter und 200 Kursteilnehmer hätten zunächst das Haus nicht verlassen können, am Mittag habe sich die Lage aber wieder entspannt.

Der historische Bezirk Beyoglu ist ein beliebtes Ziel von Touristen. Dort befinden sich zahlreiche Geschäfte, Bars, Kinos und Restaurants. Das US-Konsulat befand sich ursprünglich ebenfalls dort, zog aber vor wenigen Monaten an einen neuen, sichereren Standort in einem anderen Bezirk um. Die Börse in Istanbul setzte nach den Explosionen den Handel aus, auch mehrere andere Unternehmen stellten ihren Geschäftsbetrieb ein, wie der Fernsehsender CNN-Turk berichtete. Die Telefonleitungen brachen zusammen.

Sämtliche Sicherheitskräfte wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Truppen patrouillierten an der Seite der Polizei in den Strassen von Istanbul. Mindestens ein Dutzend schwer bewaffnete Soldaten bewachten die Umgebung des HSBC-Sitzes. Das Staatssicherheitsgericht der Stadt verhängte eine Nachrichtensperre. Die türkischen Fernsehsender setzten ihre Berichterstattung über die Anschläge aber dennoch fort. (dapd)

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