Katastrophe in Japan: «Jeden Tag wird die Gefahr grösser»

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Katastrophe in Japan«Jeden Tag wird die Gefahr grösser»

Fukushima ist so schlimm wie der Super-GAU von Tschernobyl. Das verheisst nichts Gutes: Die Gefahr am Unglücksreaktor ist in den letzten Jahren nicht kleiner geworden.

Seit Dienstag ist es offiziell: Die Atomkatastrophe von Fukushima ist so schlimm wie der Super-GAU von Tschernobyl - beide Unglücke sind auf der höchsten Stufe 7 der INES- Skala als «katastrophaler Unfall» eingruppiert. Längst sagen Experten voraus, dass in Japan auch ähnliche Gegenmassnahmen nötig werden wie 1986 in der Ukraine.

Wie in Tschernobyl wird vermutlich ein Sarkophag gebraucht, um die tödliche Strahlung zu dämpfen. Und wie damals werden die Folgen der Umweltkatastrophe die Welt noch Jahrzehnte beschäftigen.

Denn die vergangenen 25 Jahre seit der Explosion im Reaktorblock 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl zeigen, dass eine Generation kaum reicht, die Konsequenzen einigermassen in den Griff zu bekommen.

Die Gefahr am ukrainischen Unglücksreaktor sei in den vergangenen Jahren nicht kleiner geworden, sagt der ehemalige Leiter des Kernkraftwerks Tschernobyl, Michail Umanetz. Im Gegenteil: «Jeden Tag wird die Gefahr grösser.»

«Eine Wahnsinnsleistung»

In Tschernobyl war kurz nach der Katastrophe vom 26. April 1986 mit gigantischem Aufwand und unter Lebensgefahr von Zehntausenden so genannter Liquidatoren eine Schutzhülle um den geborstenen Reaktor und die darin unter extremer Hitze geschmolzenen Brennstäbe gebaut worden.

Dafür hatte die sowjetische Führung Rekruten, Feuerwehrleute und andere Helfer aus allen Republiken der damaligen UdSSR verpflichtet. Bis zu 800 000 Liquidatoren sollen insgesamt mitgearbeitet haben.

Sie mussten - bisweilen nur notdürftig in Bleianzügen geschützt - in teils nur wenige Sekunden langen Einsätzen direkt an der Unglücksstelle radioaktiven Schutt abräumen, der im Umkreis des Kraftwerks vergraben wurde und bis heute stark strahlt.

Bis November 1986 wurde dann aus 7000 Tonnen Stahl und 410'000 Kubikmetern Zement der Betonmantel zusammengezimmert, der den grössten Teil der Radioaktivität abschirmt. «Die Erststellung des ersten Sarkophags war eine Wahnsinnsleistung», sagt Greenpeace- Atomexperte Heinz Smital anerkennend.

Brüchige Hülle

Dennoch beklagt nicht nur die Umweltorganisation, dass das monströse Bauwerk die Probleme bei weitem nicht bewältigt hat. Ursprünglich für 20 bis 30 Jahre ausgelegt, zeigte sich der Bau von Anfang an brüchig. Schon bald warnten Experten vor einem Kollaps mit unabsehbaren Folgen.

Denn selbst in Fachkreisen ist umstritten, wie viel strahlendes Material noch unter der Hülle lauert - die Schätzungen reichen von fünf Prozent des einstigen radioaktiven Inventars bis zu 95 Prozent.

Schon 1997 handelten die G7-Staaten mit der Ukraine den «Shelter Implementation Plan» aus: Der Sarkophag sollte zunächst mit internationaler Finanzhilfe stabilisiert und möglichst rasch durch eine weitere riesige Stahlhülle ersetzt werden.

Danach sollten der alte Sarkophag abgebaut und das strahlende Material entsorgt werden. Erst dann wäre der Unglücksort Tschernobyl in einem ökologisch stabilen Zustand - zumindest für die nächsten 100 Jahre.

Grösstes bewegliches Bauwerk aller Zeiten

Tatsächlich verzögern sich die Rettungsmassnahmen aber immer weiter. Zwar wurde die bestehende Betonhülle in den Jahren 2004 bis 2008 endlich verstärkt. Die bereits für 1998, dann für 2005, dann für 2010 angekündigte Fertigstellung der neuen Schutzhülle ist jedoch immer noch nicht absehbar.

Vor Ort ist das Bauschild der einzige sichtbare Hinweis auf das Projekt. Angeblich wird derzeit hinter hohen Zäunen auf dem Industriepark zumindest an den Fundamenten gearbeitet. Die Schuld für die Verzögerung schieben sich die Beteiligten gegenseitig zu.

Darüber hinaus verweist Greenpeace-Experte Smital auf technische Probleme. Die neue Stahlhülle kann wegen der hohen Strahlung nicht direkt am Reaktor 4 gebaut werden. Vielmehr soll sie in 120 Metern Entfernung zusammengesetzt und auf Schienen über den Unglücksreaktor geschoben werden - als grösstes bewegliches Bauwerk aller Zeiten.

(sda)

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