Ukraine-Krieg: Der Rückzug in Cherson bringt uns dem Frieden näher

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Ukraine-Krieg«Jeder ukrainische Sieg bringt uns dem Frieden näher»

Offenbar zeigt die Gegenoffensive der Ukraine Erfolg: Russland zieht seine Truppen aus der strategisch wichtigen Stadt Cherson zurück. Ein Russlandexperte ordnet die Lage ein.

von
Marino Walser
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Russland hat den Rückzug seiner Truppen westlich des Flusses Dnepr angeordnet. Das teilte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch mit.

Russland hat den Rückzug seiner Truppen westlich des Flusses Dnepr angeordnet. Das teilte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch mit.

IMAGO/SNA
Ramsan Kadyrow, der Präsident der Teilrepublik Tschetschenien, hatte in der Vergangenheit diverse hochrangige russische Militärs, darunter auch Verteidigungsminister Sergei Schoigu, scharf kritisiert. Nun aber teilt er die Entscheidung Schoigus.

Ramsan Kadyrow, der Präsident der Teilrepublik Tschetschenien, hatte in der Vergangenheit diverse hochrangige russische Militärs, darunter auch Verteidigungsminister Sergei Schoigu, scharf kritisiert. Nun aber teilt er die Entscheidung Schoigus.

REUTERS
Russlandexperte Alexander Dubowy sagt: «Dass die Russen sich nun aus der Stadt zurückziehen, ist eine sehr herbe Niederlage und auch das Eingeständnis der Russen dazu.»

Russlandexperte Alexander Dubowy sagt: «Dass die Russen sich nun aus der Stadt zurückziehen, ist eine sehr herbe Niederlage und auch das Eingeständnis der Russen dazu.»

www.alexander-dubowy.com

Darum gehts

  • Die russischen Truppen ziehen sich aus Cherson zurück. 

  • Die Gegenoffensive der Ukraine zeigt Erfolg.

  • Der russische Verteidigungsminister plant nun, die russischen Streitkräfte am Ostufer des Dnepr zu platzieren und eine Verteidigungslinie aufzubauen.

  • Der Russlandexperte Alexander Dubowy sagt, dass jeder ukrainische Sieg den Frieden näher bringt.

Russland hat den Rückzug seiner Truppen westlich des Flusses Dnepr angeordnet. Das teilte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch mit. Schoigu plant nun, dass die Streitkräfte am Ostufer des Dnepr Verteidigungspositionen einnehmen sollen. Russlandexperte Alexander Dubowy ordnet die Lage ein.

Herr Dubowy, was hat der Rückzug der Russen in einem annektierten Gebiet der Russen zu bedeuten?
Alexander Dubowy: Es handelt sich dabei um einen taktischen Rückzug. Cherson war die einzige Provinzhauptstadt, die Russland einnehmen konnte. Dass sie sich nun aus der Stadt zurückziehen, ist eine sehr herbe Niederlage und auch das Eingeständnis der Russen dazu. Dass im russischen Staatsfernsehen nicht darüber berichtet wird, ist ein deutlicher Hinweis, dass es auch ein grosser Sieg für die Ukraine ist.

Ist dies ein Wendepunkt im Krieg?
Nein, ein Wendepunkt ist es nicht. Es zeigt aber, dass die Ukraine eine erfolgreiche Gegenoffensive führt. Wie es weitergeht, ist noch offen.

Verteidigungsminister Sergej Schoigu erklärte den Rückzug damit, dass das Leben und die Gesundheit der Soldaten Vorrang haben. Wie beurteilen Sie diese Aussage?
Das ist lachhaft. Die Tatsache, dass die Russen mit der faktischen Generalmobilmachung viele unerfahrene Soldaten in den Krieg schickten, zeigt, dass das Leben der eigenen Männer keine Rolle spielt. Die Russen schaffen es einfach nicht, Cherson zu verteidigen.

Da die Russen vermehrt zurückgetrieben werden: Muss die Ukraine nun mit einem erneuten und schweren Gegenschlag rechnen?
Es ist immer wieder die Rede davon, dass Moskau den Kachowka-Staudamm oberhalb von Cherson sprengt. Die potentiellen Folgen wären verheerend, mehr als 80 Wohnorte könnten überflutet werden. Auch bezieht das Kernkraftwerk Saporischschja Kühlwasser aus dem Staudamm. Eine indirekte Drohung war einige Male zu hören. Ob Russland diesen Schritt auch wagt, ist allerdings unsicher.

Weshalb?
Es wäre zu offensichtlich, wer daran schuld wäre und würde auf internationaler Ebene, so auch vonseiten des globalen Nicht-Westens, scharf kritisiert werden.

Sollten die ukrainischen Truppen den Rückzug der Russen nutzen und gleich die Verteidigungslinie auf dem anderen Dnepr-Ufer angreifen?
Die Entscheidung der Russen, sich jetzt zurückzuziehen, hängt damit zusammen, dass sie die Truppen rechtzeitig in Sicherheit bringen wollen. Die ukrainischen Truppen sind also noch nicht so weit vorgerückt. Ein schnelles Vorpreschen halte ich aber nicht für wahrscheinlich. Es wäre ein zu hohes Risiko, würde die Truppen der Ukrainer verwundbarer machen und die Versorgung erschweren.

Experten sagen, dass die Erfolge der Ukraine eine Eskalationsspirale mit sich bringen werden. Sind Sie gleicher Ansicht?
Das halte ich für falsch. Selbst bei oberflächlicher Betrachtung kann diese Argumentation kaum nachvollzogen werden. Denn Russland gesteht offensichtlich die militärische Niederlage in diesem Gebiet ein. Dadurch werden faire Friedensverhandlungen zunehmend wahrscheinlicher. Je weiter die Ukraine vorrückt, desto besser stehen die Chancen für Frieden. Oder anders gesagt: Jeder ukrainische Erfolg bringt uns dem Frieden näher.

Was meinen Sie mit fairen Friedensverhandlungen?
Bislang wurden potentielle Friedensverhandlungen auf russischer Seite stets als voraussetzungsloser Diktatfrieden betrachtet. Damit es eine ehrliche Verhandlung gibt, bedarf es der militärischen und finanziellen Stärkung der Ukraine durch den Westen. Militärische Erfolge sind die Grundvoraussetzungen für ehrliche Verhandlungen. Diese könnten jedoch jahrelang dauern.

Was wäre eine faire Forderung der Ukrainer?
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat in dieser Woche mehrere Voraussetzungen für die Friedensverhandlungen mit Russland formuliert; so beispielsweise den Rückzug Russlands aus allen besetzten Gebieten. Wahrscheinlich ist dies freilich nicht. Doch angesichts der zahlreichen Niederlagen Russlands sowie der wachsenden Kosten dürfte der Kreml verhandlungsbereiter werden. 

Glaubst du, dass Erfolge der Ukraine eine Eskalationsspirale mit sich bringen?

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