Überschwemmungen in ItalienJetzt beginnen die Aufräumarbeiten – doch es drohen weitere Regenfälle
Nach den schweren Überschwemmungen kehren etliche Italiener in ihre Häuser zurück. Dort stehen sie tief im Schlamm. Den Betroffenen bietet sich ein Bild der Verwüstung – währenddessen kündigen sich weitere Niederschläge an.

- von
- Benedikt Hollenstein
Darum gehts
Im Norden Italiens haben enorme Wassermassen diese Woche zu verheerenden Überschwemmungen geführt.
Mindestens elf Personen starben – nun beginnen die Überlebenden, ihre meist völlig zerstörten Häuser und Wertsachen aufzuräumen.
Stellenweise fiel innert zwei Tagen so viel Regen wie in einem Jahr – viele Leute sehen aber auch die Behörden zumindest teilweise in der Schuld.
Giuseppe Beltrame steht im Vorgarten seines Häuschens und kann es nicht fassen. Bis zu den Schienbeinen reicht ihm der Schlamm, den die extremen Regenfälle durch den Ort Faenza geschwemmt haben. Beltrame zeigt auf die Hausmauer und einen braunen Strich in etwa zweieinhalb Metern Höhe – so hoch stand das Wasser, als er mit seiner Frau und dem Hund am frühen Mittwochmorgen von Rettungsteams im Schlauchboot evakuiert worden war. Am Donnerstag kehrt Beltrame erstmals zurück und sieht die Verwüstung: Tische, Stühle, Kommoden liegen im Wohnzimmer auf dem Boden. Der Kühlschrank in der Küche ist umgekippt. Alles ist voller Schlamm. Beltrame kommen die Tränen.
«Apokalyptische» Unwetter forderten schon elf Todesopfer
Nach den Unwettern und schweren Überschwemmungen, die die Region Emilia-Romagna in Norditalien zu Wochenbeginn heimgesucht hatten, beginnen am Donnerstag viele mit den Aufräumarbeiten. Es überwiegt Fassungslosigkeit. Innerhalb von knapp zwei Tagen fiel an manchen Stellen so viel Regen wie normalerweise in einem halben Jahr. Mindestens elf Menschen starben in den Fluten oder durch Erdrutsche. Manche Politiker nehmen den Ausdruck «Apokalypse» in den Mund.
Giuseppe Beltrame hatte gehofft, im ersten Stock des Reihenhäuschens ausharren zu können. Am Dienstagmorgen gegen drei Uhr, als das Erdgeschoss bereits unter Wasser stand, holte der Zivilschutz aber auch ihn ab. «Drei Familien in dieser Strasse mussten vom Helikopter weggeflogen werden», erzählt er am Donnerstag und zeigt die Via Don Giovanni Verità hinunter. Dort steht nun Federica Pizzuto und weint. Auch sie sieht erstmals, was das Wasser mit ihrem gerade frisch renovierten Haus angestellt hat. «Wir wollten Ende Mai einziehen. Die neuen Möbel sind schon drin, eine neue Küche ebenfalls», erzählt sie und versteckt die Tränen hinter einer grossen Sonnenbrille.
Faenza in der Provinz Ravenna ist eine der am stärksten betroffenen Gemeinden. Mindestens 23 Flüsse traten nach Behördenangaben in der ganzen Region über die Ufer. Der Lamone fliesst durch Faenza, bei den vorigen Unwettern Anfang Mai hatten die Dämme noch gehalten. «Keinen Tropfen» bekam damals Giuseppe Beltrame ab, wie er sich erinnert.
Ausgetrocknete Böden und verstopfte Flüsse förderten Katastrophe
In Norditalien herrschten in den vergangenen Monaten eine grosse Dürre und Trockenheit. Die plötzlichen und sintflutartigen Regenfälle konnte der Boden dann nicht aufnehmen, erklärt Regionalpräsident Stefano Bonaccini. «Ausserdem wurden die Flussbetten seit vielen Jahren nicht gereinigt. Kein Wunder, dass das Wasser nicht abfliessen konnte!», schimpft ein Passant, als er an den Häusern von Beltrame und Pizzuto vorbeiläuft. «Die Verantwortlichen gehören bestraft!»
Aufnahmen eines Helikopters zeigen, wie sich Einwohner und Einwohnerinnen des Ortes Maltempo auf ihren Dächern vor den Wassermassen in Sicherheit brachten.
Wegen der Überschwemmungen brach in vielen Teilen der Region das Strom- und Mobilfunknetz zusammen. Auch viele Trinkwasserleitungen wurden in Mitleidenschaft gezogen. In Castel Bolognese, gut fünf Kilometer von Faenza entfernt, steht ein Tankwagen der Feuerwehr vor der Sporthalle und verteilt Trinkwasser. Leute mit Plastik- und Glasflaschen stehen an, um sich Wasser zu holen und mit nach Hause zu nehmen. «Zum Trinken und zum Kochen», erklärt ihnen eine Helferin.
Drinnen in der Halle sind Dutzende Feldbetten aufgebaut. Knapp 80 Evakuierte haben in der Nacht auf Donnerstag hier geschlafen, darunter etliche alte Menschen, die nicht bei Freunden oder Verwandten untergekommen sind. Auch in der Nacht auf Freitag würden wieder viele Gäste erwartet, sagt eine Frau vom Zivilschutz.
Grosse Anteilnahme in Italien
Die Anteilnahme ist gross in dem Mittelmeerland. Alle anderen Regionen schickten Helfer, Experten und Gerätschaften in die Emilia-Romagna und in die Marken, wo es ebenfalls zu Überschwemmungen gekommen war. Regionalpräsident Bonaccini bezifferte die Schäden auf einige Milliarden Euro, wie er im italienischen Fernsehen sagte. Papst Franziskus erflehte derweil «Trost für die Verletzten und diejenigen, die unter den Folgen des schweren Unglücks leiden».
Der italienische Zivilschutz-Minister Nello Musumeci betonte, dass aufgrund der immer extremeren Wetterlagen ganz neue Konzepte hermüssten, um bewohnte Gebiete sicherer zu machen. Acht bis zwölf Monate könne es dauern, bis solche Pläne ausgearbeitet seien, sagte der Minister.
Norditalien drohen weitere Regenfälle
Dabei ist schon für die nächsten Tage neuer Regen angekündigt in den Gegenden rund um die betroffenen Städte wie Faenza, Ravenna, Forlì und Cesena. Giuseppe Beltrame steht in seinem Wohnzimmer im Schlamm, schüttelt den Kopf und nimmt dann einen Topf mit Blumen in die Hand, der einigermassen unversehrt geblieben ist. «Vielleicht ein Zeichen des Neubeginns ...», meint er. Dabei hat er Tränen in den Augen.
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