Personal-Expertin«Bei Jungen ist der Lohn auf der Prioritätenliste nach unten gerückt»
Löhne sind in der Schweiz ein Tabu. HR-Expertin Judith Oldekop sagt, warum das so ist und wie sich das bei der jungen Generation verändert.
- von
- Claudia Blumer
Darum gehts
Seit dem 1. November sind Arbeitgeber in New York verpflichtet, bei Stelleninseraten die Spannbreite des Lohnes anzugeben: Mindest- und Maximallohn. Wer es nicht macht, dem droht eine Busse. Die Regel gilt auch für interne Stellenausschreibungen.
Andere Länder haben teilweise ähnliche Regelungen. So besteht in Österreich die Pflicht, in Stelleninseraten den Mindestlohn zu nennen. Damit soll die Position von Bewerberinnen und Bewerbern gestärkt werden. In der Schweiz war diese Forderung auf politischer Ebene bisher chancenlos.
Ob Lohntransparenz auch zu Lohngleichheit führt, ist laut HR-Expertin Judith Oldekop abhängig von der Ausgestaltung. Wenn nur der Mindestlohn angegeben werden müsse, dann sei der Effekt kleiner, weil Männer dann eben oft doch besser verhandelten als Frauen. Wenn hingegen wie in New York der Range angegeben werde, der Mindest- und Höchstlohn, dann erwartet sie eine grössere Wirkung auf gerechte Löhne.
«Lohn ist bei Jungen weniger wichtig»
Der Lohn sei in der Schweiz zwar immer noch ein Tabuthema, sagt Oldekop. Doch sie beobachtet auch, dass sich das in gewissen Bevölkerungskreisen ändert. Jüngere Leute hätten weniger Mühe, über den Lohn zu reden, sagt sie. Sie beobachtet auch, dass der Lohn bei dieser Altersgruppe an Stellenwert verliert gegenüber anderen Faktoren wie Stimmung im Team, Arbeits- und Organisationskultur. «Ich weiss von einer angehenden Lehrtochter, die sich für die Lehrstelle mit 300 Franken weniger Lohn im dritten Lehrjahr entschieden hat – aus dem Grund, dass die Leute dort netter sind.» 300 Franken Differenz – bei einem Lehrlingslohn von rund 1000 Franken, das ist eine grosse Summe. «Das zeigt, wie sehr der Lohn auf der Prioritätenliste nach unten gerückt ist», sagt Oldekop.
Nicht nur in der Schweiz sei der Lohn ein Tabu, allgemein im mitteleuropäischen Raum. Wohingegen in Skandinavien absolute Transparenz herrsche. «In Schweden ist es normal, dass ich über meinen Nachbar und Arbeitskollegen alles erfahren kann, die sind damit aufgewachsen und haben daher kein Problem damit.»
«Je leistungsorientierter, desto verschlossener»
Soziologin Katja Rost von der Universität Zürich sieht die Geheimnistuerei rund ums Geld in der Schweiz in einem grösseren Zusammenhang. Auch das Bankgeheimnis habe eine lange Tradition, sagte sie im Gespräch mit 20 Minuten. «Generell scheint es so, dass je leistungs- und arbeitsorientierter eine Gesellschaft ist, desto weniger sprechen die Leute über ihren Lohn.»
Betreffend Lohngleichheit dämpft Rost die Erwartungen. Allein durch Transparenz würden die Löhne nicht gerechter, sagt sie. Viel wichtiger sei die Frage, ob der Lohn dem Geleisteten entspreche. So könne jeder überprüfen, ob er oder sie aufgrund von Ausbildung, Erfahrung, Alter in der richtigen Lohnklasse sei.
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