StromverbrauchKalifornien macht es besser
Wer spart, wird belohnt. Mit dieser Politik hat Kalifornien den Stromverbrauch in den letzten 30 Jahren stabilisiert. Die Schweiz will davon nichts wissen.
- von
- Urs P. Gasche
- infosperber.ch
Alle Absichtserklärungen zum Atomausstieg sind nichts wert, so lange die Stromkonzerne den Stromabsatz weiterhin mit Mengenrabatten fördern und so lange ihre Gewinne vom Stromabsatz abhängen. Je mehr Strom man bei uns spart, desto höher wird die Rechnung pro Kilowattstunde. Und je mehr man verbraucht, desto weniger zahlt man – wegen der fixen, meist hohen Grundgebühren. Viele Spar-Investitionen lohnen sich deshalb nicht.
Anders im US-Bundesstaat Kalifornien mit seinen 36 Millionen Einwohnern: Seit über 30 Jahren gibt es dort keine Grundgebühren. Es werden sogar alle finanziell belohnt, die weniger Strom brauchen. Obendrein fördern die privaten Stromkonzerne das Stromsparen mit Milliarden. Trotz extremerem Klima braucht Kalifornien deshalb heute weniger Strom als die Schweiz oder Frankreich. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist in den letzten 30 Jahren stabil geblieben, während er in der Schweiz um fast 50 Prozent zugenommen hat.
Wäre der Pro-Kopf-Verbrauch seit 1978 auch in der Schweiz stabil geblieben, bräuchte sie heute 19 Milliarden kWh weniger Strom. Die drei Kernkraftwerke Mühleberg, Leibstadt und Gösgen wären überflüssig. Wenn aber die Schweiz die Anreize weiterhin auf Absatz ausrichtet und der Stromverbrauch jedes Jahr um zwei Prozent zunimmt, verdoppelt er sich bis 2045. Der Beitrag erneuerbarer Energie würde trotz aller Fördermassnahmen verpuffen, die Schweiz unweigerlich noch stärker abhängig von Atom-, Kohle- oder Gasstrom.
Gewinne vom Absatz entkoppeln
Dem Beispiel Kaliforniens sind unterdessen einige andere US-Staaten gefolgt – trotz Widerstands der Stromlobby. Der Schlüssel zum Erfolg heisst «Decoupling», das heisst, die Gewinne sind vom Stromverkauf abgekoppelt. Kaliforniens Energiebehörde hat die Marktregeln für die privaten Energiekonzerne so festgelegt, dass deren Gewinne nicht mehr von der Menge des verkauften Stroms abhängen. Höhere Gewinne locken vielmehr dann, wenn die Unternehmen weniger, und nicht wenn sie mehr Strom verkaufen.
Im grössten US-Bundesstaat einigt sich die Energiebehörde mit jedem Stromkonzern über den Stromabsatz des folgenden Jahres. Verkauft der Konzern mehr, so muss er den Zusatzgewinn den Kunden zurückerstatten. Setzt er weniger Strom ab, darf er den Preis und damit den Gewinn erhöhen. «Die Anreize sind so gesetzt, dass Effizienzmassnahmen lukrativer sind als der Bau neuer Kraftwerkkapazitäten», erklärt Peter Ghermi, Fachspezialist vom Bundesamt für Energie. Es zahlt sich aus, die Kunden dafür zu bezahlen, dass sie weniger Energie brauchen. Die Kosten dürfen die Konzerne auf ihre Tarife schlagen.
Ein Beispiel: Die finanziellen Anreize zum Kauf energiesparender Geräte sind so hoch, dass die Konsumenten den Aufpreis bereits in zwei Jahren amortisiert haben. «Sonst kaufen die meisten Leute die billigeren Geräte», sagt Art Rosenfeld, langjähriger Präsident der kalifornischen Energiebehörde. Heute brauchen die Kühlschränke und Tiefkühler nur noch ein Viertel so viel Strom wie früher. Weiteres Beispiel: Anders als in der Schweiz sind in Kalifornien sämtliche Verkehrsampeln mit Strom sparender LED-Technologie ausgerüstet.
Neue Wohnhäuser bald ohne Fremdenergie
Auch zum Heizen und für das Air Conditioning verschwenden kalifornische Haushalte weniger Strom, weil die Häuser viel besser isoliert sind als in andern US-Staaten. Ab 2020 dürfen neue Wohnhäuser sogar netto keine Energie mehr verbrauchen («zero net energy»), ab 2030 auch die Geschäfts- und Bürobauten. In der Schweiz gibt es erst einzelne Pilothäuser, die so viel Energie produzieren, wie sie verbrauchen.
Mit solchen Energiesparmassnahmen sowie der finanziellen Förderung von Solar- und geothermischem Strom will Kalifornien den Anteil erneuerbarer Energiequellen an der Stromversorgung von heute 13 Prozent bis 2030 auf 33 Prozent steigern – und zwar ohne die Wasserkraft mitzuzählen. Eine «Initiative für eine Million Solardächer» will bis 2018 Solarzellen mit einer Leistung von 3000 MW installieren (dreifache Leistung des KKW Gösgen).
Mit dieser Politik nimmt es Kalifornien in Kauf, dass die Strompreise höher sind als in andern US-Staaten. Doch für Industrie, Gewerbe und selbst für ärmere Haushalte geht die Rechnung trotzdem auf: Eine Kilowattstunden kommt sie zwar teurer zu stehen, aber sie brauchen weniger davon. Die Stromrechnung ist nicht höher als vorher. Es ist deshalb polemisch, die kalifornische Energiepolitik mit den höheren Strompreisen zu diskreditieren.
Milliarden fürs Stromsparen
Mindestens rhetorisch gilt auch in der Schweiz die Devise, nur so viele neue Kraftwerke zu bauen wie unbedingt nötig. Trotzdem will das Energiedepartement Uvek dem Beispiel Kaliforniens nicht folgen: «Da die Schweiz mit diesem System in Europa Neuland betreten würde, ist ein solcher Wechsel in der Tarifregulierung derzeit nicht im Vordergrund», erklärt Peter Ghermi vom Bundesamt für Energie. Die Schweiz beschwört zwar den Alleingang, doch vorangehen in der Energiepolitik will sie nicht. «Decoupling widerspricht der Strommarkt-Liberalisierung», sagt Marianne Zünd, Sprecherin des Bundesamts für Energie.
Das Departement von Bundesrätin Doris Leuthard will den sensationellen Erfolg der kalifornischen Energiepolitik nicht zur Kenntnis nehmen. Die Anreize zum Stromsparen seien für Haushalte zu klein, behauptet Lukas Gutzwiller, der im Uvek für die Energiepolitik zuständig ist, und übernimmt damit ein Argument der Stromlobby. Kalifornien hat bewiesen, dass Haushalte enorm Strom sparen können, ohne an Komfort einzubüssen.
Das Uvek hat auch das Gesetz unterstützt, das die Stromkonzerne verpflichtet, den Strom zu Gestehungskosten zu liefern und nicht zu Preisen, welche sich nach den Kosten der zusätzlich zu produzierenden Kilowattstunden ausrichten. «Insbesondere Grosskunden kämpften bisher politisch und gerichtlich für das Beibehalten solcher Privilegien», schreibt die NZZ. Sogar Urs Meister, Energieexperte der Avenir Suisse, die von der Wirtschaft finanziert wird, fordert die Abschaffung der heutigen «subventionierten Preise».
Tarife belohnen Verschwender
Weil ihre Gewinne vom Absatz abhängen, fördern die meisten Schweizer Energieversorger den Absatz. Stromverschwendern gewähren sie Mengenrabatte, während sie Stromsparer bestrafen: Wer seinen Stromverbrauch halbiert, muss wegen der fixen Grundgebühr pro Kilowattstunde 15 bis 30 Prozent mehr zahlen. «Eine solche Tarifpolitik macht Sparinvestitionen wenig attraktiv», stellt die kalifornische Aufsichtsbehörde fest. Kalifornien wendet «dynamische», das heisst progressive Tarife an: Wer viel Strom braucht oder Strom zu Spitzenzeiten konsumiert, zahlt pro Kilowattstunde einen Aufpreis.
Solche progressiven Tarife haben die Stiftung für Konsumentenschutz, WWF, SES und Greenpeace vor drei Jahren auch für die Schweiz gefordert. Doch Elektrizitätsunternehmen warnen vor einer Stromlücke und halten neue Atom- und Gaskraftwerke für unvermeidlich. Den Beweis für die eine oder andere These könnte eine «Decoupling»-Politik à la Kalifornien erbringen. «Denkbar» wäre für Peter Ghermi vom Bundesamt für Energie, dass die Schweizer Elektrizitätskonzerne die Kosten für ähnliche Effizienzmassnahmen und -anreize wie in Kalifornien auf die regulierten Netztarife abwälzen dürfen. «Ein optimales Anreizsystem würde auch in der Schweiz dazu führen, dass Effizienzmassnahmen besser rentieren als der Neubau von Kraftwerken». Doch das müsse die Politik entscheiden.

Der Autor
Urs P. Gasche hat 1984 zusammen mit Hans Haldimann in der Berner Zeitung die neue kalifornische Energiepolitik mit derjeningen der Berner BKW verglichen. Die BKW hatte damals den Stromabsatz mit dem Fördern von vollelektrischen Heizungen stark angekurbelt. Der «Strom-Report» in der Berner Zeitung war ein wesentlicher Grund, weshalb der Autor die Berner Zeitung 1985 als Chefredaktor verlassen musste.
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