Fall KampuschKampusch-Streit eskaliert im ORF-Studio
Jetzt wird die Causa Kampusch in Österreich plötzlich erörtert. In einer ORF-Diskussionssendung sprangen sich die Teilnehmer fast an die Kehle. Auch Natascha Kampusch gab ein Statement ab.
- von
- feb/kle mit Agenturen

Sorgt für Aufregung in Österreich: Die Sendung «Im Zentrum» zum Fall Kampusch, bei der es um die Frage geht, ob und wie viele Beweise unterschlagen wurden. Hier gehts zur Aufzeichnung der hitzigen Debatte.
Lange geschah wenig in Österreich. Nachdem 20 Minuten Online letzten Monat mit einer mehrteiligen Kampusch-Serie zuerst in Deutschland und im englischsprachigen Raum für Furore sorgte, berichteten nach und nach auch österreichische Medien über die neuesten Entwicklungen im Fall Kampusch. Letzte Woche sprangen dann als Letzte auch die mächtige Boulevardzeitung «Krone» und der Staatssender ORF auf. Und gestern Sonntag nun wurde zur besten Sendezeit die ORF-Sendung «Im Zentrum» mit dem Thema «Neue Beweise oder Verschwörungstheorien» ausgestrahlt.
20 Minuten Online warf in seiner Serie viele Fragen auf, zeigte Dokumente, die beweisen, wie schlampig zum Teil ermittelt wurde und hinterfragte stets, ob es möglich sei, dass nur ein Täter am Werk war. Anfang letzter Woche sagte auch Parlamentarier Werner Amon, Leiter des Unterausschusses, der momentan die Akte Kampusch durchleuchtet, dass aus seiner Sicht eine Einzeltäter-Theorie nur schwer aufrechtzuerhalten sei. So wie es jetzt aussieht, dürfte der Unterausschuss der Justiz eine Wiederaufnahme des Verfahrens empfehlen.
Die Zweifel an der Einzeltäter-Theorie waren ein zentrales Thema der ORF-Sendung. Weitere Punkte: Die Zweifel am Selbstmord des Entführers Wolfgang Priklopil, die Gerüchte um den Tod von SOKO-Leiter Franz Kröll und die Frage, ob Natascha Kampusch während ihrer Gefangenschaft ein Kind zur Welt gebracht hat.
«Kampusch wird neuerlich missbraucht»
Wie schon in der Vergangenheit wurde man nicht müde aufzuzeigen, dass Natascha Kampusch – was nie jemand bestritten hat – in erster Linie Opfer sei und geschützt werden müsse. Journalist Christoph Feurstein, der sozusagen als Kampusch-Vertreter in der Runde sass, meinte, Kampusch werde 14 Jahre nach ihrer Entführung und sechs Jahre nach ihrer Flucht «neuerlich missbraucht». Feurstein war es, der das erste Interview mit Kampusch nach ihrer Gefangenschaft führte. Damals wurde gesagt, die Frau müsse vor Licht geschützt werden; dies, obwohl sie am Ende ihrer Gefangenschaft aktenkundig nicht mehr im Verlies wohnte.
Johann Rzeszut, ehemaliger Präsident des Obersten Gerichtshofs in Wien, trat ebenfalls in der Sendung auf. Er bemängelte unter anderem, dass der unbeteiligten Tatzeugin Ischtar A*., die stets von zwei Entführern sprach, nie Glaube geschenkt wurde. Staatsanwalt Thomas Mühlbacher entgegnete, Ischtar A. habe nur von einem Entführer gesprochen, auch wenn sie vor der Tat einen zweiten Mann gesehen habe. Dass Ischtar A. am 29. Juli 2011 vor Gericht in Innsbruck unter Eid wiederholte, dass sie immer von zwei Tätern sprach, ihr die Polizei aber gesagt habe, sie dürfe niemandem von zwei Tätern erzählen, weil dies schlecht für den Fall sei, ging unter.
Endlich sollen alle Fakten auf den Tisch gelegt werden
In der Runde ging es von da an hin und her. Es wurde laut, man fiel sich ins Wort, der Moderator versuchte mehrmals zu beruhigen. Mühlbacher ging auf Rzeszut los und warnte ihn davor, Ernst H.*, den Freund von Wolfgang Priklopil, willkürlich als möglichen Mittäter zu verdächtigen. H.s Anwalt Manfred Ainedter half fleissig mit, gegen Rzeszut zu schiessen. Mit seinem Brief ans Parlament habe er dieses aufgehetzt, Ersatzjustiz zu spielen, warf er ihm an den Kopf. Die Nationalratsabgeordnete Dagmar Berlakowitsch-Jenewein wiederum beschuldigte Mühlbacher indirekt, indem sie der Staatsanwaltschaft vorwarf, dem Unterausschuss nicht alle Akten zur Verfügung gestellt zu haben, ein Teil davon sei unterschlagen und frisiert worden.
Psychiater Reinhard Haller beobachtete die Runde ausserhalb vom Studio und wurde jeweils zugeschaltet. Zusammenfassend meinte er: «Debatten und auch Diskussionen entstehen, wenn ein Sachverhalt nicht bekannt ist.» Man wisse seit Jack the Ripper, dass Spekulationen entstehen, wenn ein Verbrechen nicht völlig aufgeklärt ist. «Jetzt muss die Wahrheit auf den Tisch.» Der Mediziner würde es begrüssen, wenn – wie bereits vorgeschlagen – externe Ermittler vom FBI oder vom deutschen Bundeskriminalamt mit in den Fall einbezogen würden.
Eine wichtige Rolle im Fall spielt auch in Zukunft Natascha Kampusch selber. In der ORF-Sendung eingespielt wurde ein kurzer Ausschnitt eines Interviews, mit ihr, das heute Abend um 21.10 Uhr auf ORF 2 ausgestrahlt und von 20 Minuten Online übertragen wird. «Waren Sie während Ihrer Gefangenschaft jemals schwanger?», fragt Feurstein. «Nein», antwortet Kampsch. Die Gerüchte um ihre Vergangenheit bezeichnet sie als empörend.
*Namen der Redaktion bekannt