Keine Ruhe in Ägypten: «Kazeboon» - die Macht der bewegten Bilder

Aktualisiert

Keine Ruhe in Ägypten«Kazeboon» - die Macht der bewegten Bilder

In Ägypten prügeln Sicherheitskräfte auf Demonstranten ein und schiessen mit scharfer Munition. Die staatlichen Medien zeigen nichts davon. Aktivisten gehen jetzt mit den Videos auf die Strasse.

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Unter dem Namen «Kazeboon» zeigen ägyptische Aktivisten auf der Strasse Videos von Demonstranten, die vom Militär verprügelt werden (Quelle: Youtube).

Seit Hosni Mubaraks Sturz ist in Ägypten der Militärrat an der Macht. Von den neuen Machthabern halten die Revolutionäre aber nichts. Sie werfen dem Militärrat vor, Proteste zu unterdrücken, gewalttätig gegen Demonstranten vorzugehen und vor allem einseitig zu informieren. Gegenüber der Armee sind die Demonstranten bei Protesten chancenlos. Das einzige was ihnen bleibt, ist die Macht der Bilder. Der bewegten Bilder. Aktivisten stellen seit kurzem auf öffentlichen Plätzen Leinwände auf und zeigen schockierende Aufnahmen. Zusammengeschnittene Videos aus selbstgedrehten Filmen und offiziellen TV-Beiträgen. Sie zeigen prügelnde Soldaten, am Boden liegende Frauen, Kinder und dann wieder Pressekonferenzen des Militärrats.

«Wir wollen den Leuten die Möglichkeit geben zu sehen, was wirklich passiert. Die Generäle sind Lügner», sagt Wahel Mohammad, der 25-jährige Organisator der Aktion und Vertreter der Initiative «Kazeboon» gegenüber dem «Spiegel». «Kazeboon» (arabisch: Lügner) ist eine Informationskampagne, die von rund 30 Parteien und Jugendgruppen organisiert wird. Sie richtet sich gegen den Militärrat und gegen die ihrer Meinung nach vom Staat kontrollierten Medien. Diese würden nicht die Wahrheit der Revolution widerspiegeln. «Die meisten Menschen glauben den staatlichen Fernsehsendern, die die Revolutionäre als Schläger und Gegner der Demokratie darstellen», sagt Wahel Mohammad.

«Müssen den Menschen die Wahrheit zeigen»

«Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Ägypter die Wahrheit nicht kennt», sagt Ramy Shaath, Mitglied der Revolutionary Forces Alliance und damit Mitbegründer der Kazeboon-Kampagne gegenüber «The Daily News Egypt». Mit den Video-Projektionen auf den Strassen Kairos, Alexandrias oder Assiouts sollen der Bevölkerung die Bilder gezeigt werden, die sie sonst im Fernsehen nicht zu sehen bekommen. «Wir mussten auf die Strasse gehen und den Menschen die Wahrheit zeigen», sagt Saath. Die Filme von Kazeboon zeigen Sicherheitskräfte, die scharfe Munition benutzen und auf Demonstranten einprügeln. Die Aktivisten versuchen damit, gegen Verschwörungstheorien vorzugehen, die verbreiten, die Gewalt werde von einer unbekannten im Ausland ansässigen Partei orchestriert.

(«Kazeboon»-Kampagne, Video: Youtube)

Hunderte Menschen schauen sich die Filme jeweils auf den Strassen Ägyptens an. Die Bilder verfehlen ihre Wirkung nicht. Bei einer Vorführung in Nasr City haben sich junge und ältere Menschen die Filme mit grossem Interesse angesehen. «Ich kann nicht glauben, dass sie Häftlinge aus ihren Zellen liessen, um Häuser anzuzünden», sagte Amal Mahfouz, eine 46-jährige Hausfrau. Sie hatte Bilder von «Kazeboon» gesehen, die Menschen zeigen, die aussagten, sie seien aus dem Gefängnis entlassen worden, um Häuser niederzubrennen und es so aussehen zu lassen als stünden die Demonstranten dahinter. «Jedes Mal, wenn wir die Reaktionen von Menschen erleben, motiviert uns das. Diese Leute haben die Wahrheit lange geleugnet und sind neugierig, sie zu erfahren», sagte Shaath gegenüber «Daily News Egypt».

Erboste Bevölkerung bei Vorführung

Doch die Aktivisten treffen nicht nur auf Begeisterung. Vor kurzem musste eine Videoprojektion von «Kazeboon» in einem reichen Kairoer Viertel abgebrochen werden, da eine Gruppe Männer auf die Aktivisten losgegangen war, die Leinwand umgetreten und die Versammlung verscheucht hatte. Die Aktivisten gehen davon aus, dass die Armee die Schläger geschickt hat, schreibt der «Spiegel».

Um auch reichere Leute zu erreichen, die sich nicht als «Revolutionäre» zeigen wollen, brennen die «Kazeboon»-Aktivisten die Videos auch auf DVDs und verteilen sie in Restaurants, Cafés und an eleganten Einkaufsstrassen. Die ägyptische Tageszeitung «Ahram Online» berichtet bereits, dass die Kunst im Revolutionsjahr neue Formen angenommen habe. Die Herstellung von Videos sei eine wichtige Aktivität in diesem Jahr geworden. Verschiedenes Bildmaterial werde zusammengeschnitten, um eine Aussage zu machen. «So etwas hat mehr Gültigkeit als Kunst, die für eine Kunstgalerie hergestellt wird», sagt Omar Robert Hamilton, ein Mitglied der unabhängigen Journalisten-Initiative «Mosireen» in Kairo. Laut Hamilton seien Videos wie «Omar Soliman's Year in Review» ein Stück Kunst, das direkten und positiven Einfluss auf die Gesellschaft habe und das sei ja der Anspruch der Kunst.

(«Omar Soliman's Year in Review», Video: Youtube)

Das Video Omar Suleiman's Year in Review zeigt Bilder von Gewalt der Armeeangehörigen gegenüber Demonstranten und schneidet immer wieder Omar Suleimans Rede dazwischen, der den Rücktritt Mubaraks verkündet hat. Alam Wassef, der dieses Video gemacht hat und zurzeit bei einer Demonstrationsausstellung des Frankfurter Kunstverein Museums beteiligt ist, sagt gegenüber «Ahram Online»: «Diese Bilder sind eine unkonventionelle Dimension für Politik, Nachrichten und Information. Auch wenn sie anonym veröffentlicht werden, können sie Teil einer öffentlichen Debatte werden.» Laut Hamilton vom unabhängigen Journalistennetzwerk «Mosireen», ist klar, dass täglich neue Videos produziert würden. Die staatlichen Medien würden nicht die Wahrheit verkünden. Die Verantwortung liege jetzt bei den Bürgern, um an alternative Quellen zu kommen und sie liege bei denjenigen, welche die Informationen verteilen sollen.

Ägypter haben Meinung bereits gebildet

Kampagnen wie «Mosireen» oder «Kazeboon» werden in Ägypten immer wichtiger. Wie viel Einfluss sie haben, ist aber unklar. Der ägyptische Journalist Ahmed el-Lozy glaubt nicht daran, dass die Bilder die Menschen noch umstimmen könnten. Die meisten Ägypter hätten weder einen Twitter-Account noch einen Schulabschluss. Für sie sei klar, dass der Militärrat die Ordnung am besten erhalte, schreibt der «Spiegel».

Die Aktivisten rechnen damit, dass es am 25. Januar, dem ersten Jahrestag der Revolution, wieder zu blutigen Auseinandersetzungen kommen wird. Für sie ist daher jede Person, die ihre Meinung über den Militärrat noch ändert ein Gewinn. Sie hoffen vor allem, bis dann genügend Menschen informiert zu haben, damit sie nicht mehr von jedem für Kriminelle gehalten werden.

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