Swiss Cycling holte sie in Polen«Kein Kontakt zur Familie» – so geht es den ukrainischen Radtalenten in der Schweiz
Der Schweizer Radsportverband hat eine Gruppe ukrainischer Athletinnen und Athleten mit einer spontanen Rettungsaktion in die Schweiz gefahren. Sie berichten von ihrem Leben zwischen Angst und Spitzensport.
- von
- Silvan Haenni
Darum gehts
Seit zwei Wochen wohnen junge Ukrainerinnen und Ukrainer in Magglingen.
Die Radtalente sind von Swiss Cycling von Polen in die Schweiz gebracht worden.
Im Grenchner Vélodrome sprachen zwei von ihnen über ihre schwierige Situation.
«Sport ist die beste Therapie», sagt Kateryna Badiak. Sie ist eine der 13 ukrainischen Radsportlerinnen und Radsportler, die am 2. März 2022 mit zwei Bussen von Swiss Cycling in den frühen Morgenstunden in Magglingen angekommen sind. Eine Delegation des Schweizer Radsportverbandes um Geschäftsführer Thomas Peter hatte die Jugendlichen zwischen 17 und 19 Jahren in der polnischen Stadt Lublin nahe der ukrainischen Grenze abgeholt. «Mit dabei hatte ich gerade das Nötigste für fünf Tage», schildert die 17-Jährige.
Vorausgegangen war ein spontaner Hilferuf eines ukrainischen Trainers, der sich mit den Nachwuchstalenten in einem Trainingslager im Osten der Ukraine aufgehalten hatte, von wo aus ihnen die Flucht nach Polen gelungen war. Zusammen mit ihrem Radbahn-Kollegen Leonid Fomenko gab Kateryna in Grenchen Auskunft. Da, im Grenchner Vélodrome, trainieren die Jugendlichen. Es helfe sehr, erklären beide. Kateryna: «Während des Sports vergessen wir unsere Situation.»
Kateryna und Leonid sind aus Kiew
Ihre Situation? Kateryna und Leonid sind aus Kiew. Ihre Familien teils noch in der belagerten Hauptstadt, teils in andere Länder geflüchtet. Sie stünden in regelmässigem Kontakt zu ihren Liebsten. Das war auch so, als sie praktisch über Nacht entscheiden mussten, ob sie ohne ihre Familien die Flucht in die Schweiz antreten sollten. Die Wirtschaftsstudentin: «Ich habe mit meinen Eltern telefoniert und wir haben entschieden, dass es für meine Zukunft das Beste ist, mit Swiss Cycling in die Schweiz zu gehen.»
27 ukrainische Radsportlerinnen und Radsportler befinden sich mittlerweile in der Schweiz. Denn: Vor wenigen Tagen sind noch einmal 14 dazugekommen. Vier davon – 14-jährige Jungs aus Donezk im Osten des Landes – sind zusammen in einer Odyssee nach Polen gelangt. Nicht alle hätten es so gut wie sie selbst, sagt Leonid. Der Sportstudent von der National-Universität von Kiew: «Viele von ihnen haben gar kein Kontakt zu ihren Familien, weil diese in der Ukraine keinen Empfang haben.» Das sei natürlich schwierig.
«Haben hier mehr als in der Ukraine»
Untergebracht sind sie in Magglingen. Im nationalen Leistungszentrum hat ihnen das Bundesamt für Sport Baspo kurzerhand Kost und Logis zur Verfügung gestellt. Das Ziel: ein möglichst stabiler Alltag. «Wir trainieren, wir gehen in Sprachkurse und wir essen zusammen», schildert Kateryna. Es sei eigentlich alles ganz normal, die Trainingsmöglichkeiten und die Unterkunft seien super. «Wir haben hier mehr als in der Ukraine», schwärmt die Bahnradfahrerin.
Fürs Training im Vélodrome pendeln sie mit dem Gratis-ÖV-Angebot der SBB von Magglingen nach Grenchen. Etwas über eine Stunde dauert der Weg durch das Berner Seeland und den Kanton Solothurn. Kateryna: «Die Natur hier ist wunderbar.» Das hätten sie vor der Ankunft in der Schweiz schon über das Land gewusst. Ansonsten aber nicht viel. Ausser über die hohen Preise hätten sie Bescheid gewusst – und über Triathlon-Legende Nicola Spirig.
Sport ist mehr als nur Medaillen
Initiiert und organisiert hat die spontane Rettungsaktion Thomas Peter. Der Geschäftsführer von Swiss Cycling war eine der vier Personen, die Anfang Monat die lange Fahrt nach Polen auf sich genommen hatten. Auch er war am Mittwoch in Grenchen zugegen: «Wir proklamieren die Werte des Sports über die olympischen Werte.» Diese würden für ihn in der heutigen Welt viel zu kurz kommen, es ginge zu oft nur um die Medaillen und Podestplätze. «Als ich den Hilferuf erhalten habe, war für mich klar, dass wir handeln müssen», so Peter. Das Sport-Netzwerk könne viel bewirken, das sehe man jetzt gerade.
Auch wenn das alles nicht ganz spurlos an ihm vorbeigeht. «Die Jugendlichen werden ständig von der Frage begleitet, wer noch lebt», schildert Peter. Das mache schon etwas mit einem selber. Wie es weitergeht? Das hinge natürlich von der Situation vor Ort ab. «Wir versuchen einfach, für möglichst viel Normalität und Abwechslung zu sorgen», so Peter. Etwas Abwechslung dürfte es schon am Donnerstag geben, wenn die Sportlerinnen und Sportler beim nationalen «Kids Cup» in Grenchen mitmachen werden. Sport als Therapie halt.
Beschäftigt dich oder jemanden, den du kennst, der Krieg in der Ukraine?
Hier findest du Hilfe für dich und andere:
Fragen und Antworten zum Krieg in der Ukraine (Staatssekretariat für Migration)
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Kriegsangst?, Tipps von Pro Juventute
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Anmeldung und Infos für Gastfamilien:
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tel. 031 370 75 75
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