Ernteausfall: Killerwespe soll Tessiner Marroni retten

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ErnteausfallKillerwespe soll Tessiner Marroni retten

Wegen der Kastaniengallwespe aus China gibt es im Tessin auch in diesem Jahr kaum Kastanien. Die Hoffnungen ruhen jetzt auf einer anderen chinesischen Wespenart.

Fabian Lindegger
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Fabian Lindegger

Mit Tessiner Kastanien sollte man in diesem Herbst besser nicht rechnen: «Ich erwarte überhaupt nichts», antwortet Paolo Bassetti auf die Frage nach seiner Einschätzung zur Menge der diesjährigen Kastanienernte. «An den Bäumen, die ich gesehen habe, sind praktisch keine Früchte dran und falls sie welche haben, sind sie von schlechter Qualität», so Bassetti zu 20 Minuten. Der Unternehmer ist einer der Hauptabnehmer von Kastanien aus dem Tessin. Im Rekordjahr 2006 hatte er rund 60 Tonnen lokale Kastanien verarbeitet. Doch seither sind die Mengen dramatisch zurückgegangen. Im letzten Jahr erreichte die Erntemenge einen vorläufigen Tiefpunkt. Doch in diesem Jahr sei es sogar noch schlimmer, sagt Bassetti. Der Schuldige für diese Miesere ist schnell gefunden: die Kastaniengallwespe.

Die Kastaninengallwespe, die urspünglich aus China stammt, ist wahrscheinlich 2007 ins Tessin gelangt. Wie, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich ist aber, dass sie aus Italien, wo diese Wespenart 2002 zum ersten Mal beobachtet wurde, entweder eingeflogen ist oder eingeschleppt wurde. Inzwischen wurde die Kastaniengallwespe auch bereits nördlich der Alpen gesichtet. Diese Wespe legt ihre Eier in die Knospen der Kastanienbäume. Dabei entsteht in den Knospen eine Art Galle, die die Eier der Wespe schützt und zur Folge hat, dass das Wachstum der Blätter und Früchte stark beeinträchtigt werden. Weil die Kastaniengallwespe in Europa kaum natürliche Feinde hat, konnte sich diese innerhalb von wenigen Jahren im grossen Stil ausbreiten.

Biologischer Feind Schlupfwespe

Um die Ausbreitung der Kastaniengallwespe zu stoppen, wurde 2004 in Norditalien die Schlupfwespe ausgesetzt, die ebenfalls aus China stammt. Die Schlupfwespen wiederum legen ihre Eier in die Gallen und der Nachwuchs der Schlupfwespen frisst die Eier der Kastaniengallwespen auf. Der biologische Feind scheint in Italien bereits den gewünschten Effekt gezeigt zu haben: Innerhalb von wenigen Jahren konnte ein signifikanter Befallsrückgang festgestellt werden.

2012 hatte der Kanton Tessin beim Bundesamt für Umwelt ebenfalls ein Gesuch für das Aussetzen der Schlupfwespe eingereicht, welches aber abgelehnt wurde. Dies weil die möglichen Folgen eines Aussetzen der Schlupfwespe zu wenig abgeschätzt werden konnten. In der Zwischenzeit ist die Schlupfwespe aber ohne Hilfe ins Tessin eingeflogen. Fachleute gehen deshalb davon aus, dass sich die Schäden der Kastaniengallwespe im Tessin verringern werden, wie das Bundesamt für Umwelt (Bafu) auf Anfrage von 20 Minuten mitteilt. Allerdings seien dem Bafu bisher keine wissenschaftlichen Daten bekannt, die zeigen würden, dass die Schlupfwespe den Schaden der Kastaniengallwespe in Italien tatsächlich reduziert habe.

Unsichere Zukunft

«Vielleicht hätte man ein paar Jahre gewinnen können, wenn man die Schlupfwespe auch in der Schweiz ausgesetzt hätte», sagt Bassetti. Vor allem, weil es ja absehbar gewesen sei, dass die Schlupfwespe früher oder später von alleine in die Schweiz gelangen würde. Er kann allerdings auch die Beweggründe der Behörden nachvollziehen, auf eine Ansiedlung der Schlupfwespe zu verzichten. Im Tessin hofft man nun, dass sich die Kastanienbäume in den nächsten Jahren wieder erholen. Laut Bassetti ist dies allerdings nicht sicher: «Viele Bäume sind inzwischen stark geschwächt und einige gar gestorben.»

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