Keine ÜbungKinder können nicht mehr richtig Velo fahren
Pro Velo und Gesundheitspolitiker schlagen Alarm: Manche Kinder können sich kaum mehr auf dem Sattel halten – weil die Eltern sie nicht auf die Strasse lassen.
- von
- J. Büchi

Ein Kind absolviert eine Veloprüfung in Aubrugg. Längst nicht alle Schüler können sich so sicher im Sattel halten.
Das erste eigene Velo. Freihändig fahren. Mit dem Fahrrad in die Badi. Für die meisten Schweizer ist das Velo zentraler Bestandteil vieler Kindheitserinnerungen. Gut möglich, dass das bei kommenden Generationen anders sein wird. Denn Fachpersonen beobachten, dass immer mehr Kinder kaum noch velofahren können.
Christoph Merkli, Geschäftsführer von Pro Velo, sagt: «Von Verkehrsinstruktoren hören wir immer wieder, dass Kinder und Jugendliche heute auf sehr tiefem Niveau fahren.» Manche scheiterten im Verkehrsgarten schon an den einfachsten Übungen. «Das macht uns grosse Sorgen. Das Velofahren muss mit den Eltern beginnen. Denn wenn die Kinder nicht mehr lernen, wie man Velo fährt, können Schulen und Verkehrsinstruktoren auch nicht mehr viel ausrichten.»
Schon 2005 kam eine Studie im Auftrag des Bundes zum Schluss, dass der Anteil der velofahrenden Kindern in der Schweiz innert zehn Jahren um bis zu 40 Prozent abgenommen habe. «Und der Trend hat sich weiter fortgesetzt», so Merkli.
Ängstliche Eltern
Josef Larcher, Chef der Schulinstruktion bei der Stadtpolizei Zürich, bestätigt: «Velofahren zu können, ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr.» Manche Kinder seien sehr unsicher auf dem Sattel oder könnten gar nicht fahren. Als Ursache sieht er das sinkende Interesse der Eltern, ihren Kindern das Velofahren beizubringen. «Berufstätige Mütter und Väter haben teilweise keine Zeit dafür. Und in gewissen Kulturen gehört das Velofahren einfach nicht so dazu wie bei uns.» Dazu komme, dass es in der Stadt wenig Möglichkeiten gebe, das Velofahren zu üben.
Christoph Merkli ergänzt, ein entscheidender Faktor sei, dass es viele Mütter und Väter für zu gefährlich halten, ihren Nachwuchs auf der Strasse velofahren zu lassen. «Viele zahlen ihren Kindern wohl lieber ein ÖV-Abo oder chauffieren sie herum.» Gegensteuer will Pro Velo mit dem Projekt «Bike to School» geben, das Primar- und Sekschülern das Velofahren näherbringen will. Zudem lanciert der Verband im März seine «Velo-Initiative»: Der Bund soll damit die nötigen Kompetenzen erhalten, um das Velofahren zu fördern.
«Velonetz sicherer machen»
Im Initiativkomitee sitzt Nationalrätin Yvonne Gilli von den Grünen. Sie sagt: «Aus gesundheitlicher Sicht ist es fatal, wenn das Velo bei den Schweizer Kindern an Bedeutung verliert.» Diese Entwicklung müsse aufgehalten werden. Für Gilli liegt der Schlüssel darin, dass ein «sicheres und attraktives» Velonetz erbaut und unterhalten wird, wie das die Initiative vorsieht. «So, wie die Schulwege gewisser Kinder heute aussehen, ist es verständlich, wenn die Eltern um deren Leben fürchten.»
Auch CVP-Gesundheitspolitiker Urs Schwaller sagt, es sei wichtig, dass die Schweizer Kinder das Velofahren nicht verlernten. «Dass sich Kinder regelmässig bewegen, ist ein wichtiger Teil der Gesundheitsprävention.» Für ihn braucht es aber keine zusätzlichen Bundeskompetenzen, um das Velonetz sicherer zu machen oder den Radsport anderweitig zu fördern: «Das ist Sache der Gemeinden und Kantone.»
Parcours auf Pausenplatz
Die Stadt Zürich hat bereits reagiert, wie Schulinstruktor Josef Larcher sagt. Bereits seit einigen Jahren werden auf den Pausenplätzen Veloparcours eingerichtet: «Die Kinder können so abseits des Strassenverkehrs Sicherheit gewinnen.» Zudem sei die Stadt bestrebt, die ganze Verkehrsinfrastruktur zu verbessern, damit auch ungeübte Velofahrer sicher auf den Strassen unterwegs sein können.