Wechselmodell«Kinder wollten das Mami und den Papi behalten»
Väterorganisationen wollen, dass Kinder getrennter Eltern zu gleichen Teilen bei Mutter und Vater leben. Eine Familie, die dieses Wechselmodell lebt, erzählt.
- von
- J. Büchi

Franziska Moser betreut Nils und seine Geschwister an durchschnittlich 3,5 Tagen pro Woche.
Wenn Nils nach der Schule nach Hause geht, schlägt er nicht immer dieselbe Richtung ein. Der 13-Jährige aus Zuchwil SO hat zwei Heimwege, zwei Zimmer, zwei Kleiderschränke. Als sich seine Eltern vor rund zehn Jahren trennten, entschieden sie sich dafür, Nils und seine beiden älteren Geschwister im Wechselmodell zu betreuen. Die Hälfte der Woche leben die Kinder bei der Mutter, die andere beim Vater.
Seit Juli gilt in der Schweiz für getrennte Eltern im Normalfall das gemeinsame Sorgerecht. Trotzdem haben Familien, in denen die Kinder zu gleichen Teilen bei Mutter und Vater leben, noch immer Seltenheitswert. In den meisten Fällen betreut ein Elternteil den Nachwuchs, während der andere – meist der Vater – ein Besuchsrecht hat. Für Franziska Moser, die Mutter von Nils, wäre ein solches Modell nie infrage gekommen: «Wir wollten es unseren Kindern nicht antun, dass sie unter der Woche ganz auf einen Elternteil verzichten müssen. Die drei sagten uns: ‹Wir wollen das Mami und den Papi behalten.›»
Der ältere Sohn zog zum Vater
Moser arbeitet heute als Kindergärtnerin, ihr Ex-Partner Teilzeit als Maschinenbauingenieur. Am Montag und Dienstag sind Nils und seine Geschwister jeweils beim Vater, am Donnerstag und Freitag bei der Mutter. Mittwochs und am Wochenende betreuen die beiden Eltern die Kinder abwechslungsweise. Kritiker des Wechselmodells bemängeln, das Kind werde auf diese Weise hin- und hergeschoben, es erfahre keine Stabilität.
Moser widerspricht: «Das Modell tönt etwas kompliziert – unsere Kinder hatten aber kaum Schwierigkeiten damit.» Nur selten hätten die beiden Buben und das Mädchen keine Lust gehabt, die Wohnung zu wechseln. Als der ältere Sohn in die Lehre kam, zog er jedoch zum Vater. «Wir haben das gemeinsam entschieden, auch wenn ich darunter gelitten habe», so Moser. «Ich dachte: So müssen sich Väter fühlen, die ihr Kind nur jedes zweite Wochenende sehen dürfen.»
«Wir sind jetzt nicht einfach Freunde»
Nils sagt, manchmal sei es schon «blöd», wenn die Hausaufgaben noch beim Mami zuhause lägen, obwohl er den Abend beim Papi verbringe. «Ich habe mich aber langsam daran gewöhnt.» Er wohne bei beiden gern. «Der Papi ist etwas strenger als das Mami, schön ist es bei beiden.» Die Wohnungen von Franziska Moser und ihrem Ex-Mann trennen nur zehn Minuten Fussweg. «Für uns war es eine Bedingung, dass wir im gleichen Quartier bleiben, damit die Kinder im selben Schulhaus bleiben können», so Moser.
Wenn man das Wechselmodell lebe, sei ein regelmässiger Kontakt unter den Eltern unumgänglich. «Man sitzt immer wieder zusammen, um Sachen auszudiskutieren und Kompromisse zu machen.» Sie verstehe, wenn das anderen Paaren zu aufreibend sei. «Auch wir sind jetzt nicht einfach Freunde, die sich immer einig sind. Aber wir haben uns aber einmal sehr geliebt. Die Kinder können nichts dafür, deshalb glaube ich, dass wir ihnen das schuldig sind.» Die ersten zweieinhalb Jahre half ihnen ein Mediator bei der Aufteilung der Betreuungszeiten und in finanziellen Fragen.
Tool soll Aufteilung regeln
Ein ähnliches Ziel verfolgt die Website Wechselmodell.ch, die in der Schweiz seit rund einer Woche online ist. Ein Tool soll getrennten Eltern helfen, die Betreuungszeiten optimal aufzuteilen. Zudem zeigt ein Rechner allfällige Kosten für eine Fremdbetreuung an. Hinter dem Angebot steckt der Verein Vaterverbot. Präsident Marcel Enzler sagt: «Jetzt, da das gemeinsame Sorgenrecht Realität ist, muss es auch die gemeinsame Betreuung werden.»
Rechtlich gesehen habe die Mutter in der Regel eine Betreuungsfunktion, der Vater eine Zahlfunktion, so Enzler. Ziel müsse jedoch sein, dass die Kinder beide Elternteile im Alltag erleben. «Ein Wochenend-Papi kann seinen Kindern vielleicht jeden Samstag Programm bieten. Er kann aber kaum erzieherische Aufgaben wahrnehmen.» Selbst zerstrittenen Eltern empfiehlt Enzler, sich die Betreuung zu teilen. «Ansonsten versuchen die beiden Elternteile nur, das Kind auf ihre Seite zu ziehen – und das Kind spielt Mutter und Vater gegeneinander aus.»
Patrick Fassbind, der Präsident der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Bern, widerspricht. Auch er hält das Wechselmodell zwar grundsätzlich für ein «sehr gutes» Modell. «Allerdings nur, wenn die Eltern nahe beieinander wohnen und eine klare Aufteilung mit klaren Regeln vereinbaren können.» Dafür sei ein hohes Mass an gegenseitigem Verständnis sowie Kooperations- und Kompromissfähigkeit nötig. «Wenn die Eltern ständig streiten, wird es sehr schwierig, die nötigen Absprachen zum Wohl des Kindes zu treffen.»
Betreuungsmodelle getrennter Eltern
Residenzmodell: Die Kinder leben dauerhaft bei einem Elternteil, der andere hat Besuchsrecht.
Wechselmodell: Die Kinder leben abwechslungsweise bei Mutter und Vater, im Idealfall je zu 50 Prozent
Nestmodell: Die Kinder leben dauerhaft in einer Familienwohnung. Mutter und Vater leben je die halbe Woche mit den Kindern dort – daneben haben beide noch eine eigene Wohnung. (jbu)