Kreisgericht St. Gallen: Kindlich-emotionale Abhängigkeit ausgenutzt?

Publiziert

Kreisgericht St. GallenKindlich-emotionale Abhängigkeit ausgenutzt?

Das Kreisgericht St. Gallen muss beurteilen, ob ein Sozialpädagoge eine Frau mit Wahrnehmungsstörungen sexuell missbraucht hat. Die Beurteilung des Falls ist knifflig.

Das Urteil des Kreisgerichts St. Gallen steht noch aus.

Das Urteil des Kreisgerichts St. Gallen steht noch aus.

jeh

Die Staatsanwaltschaft klagte den Sozialpädagogen wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit der Frau an. Sie verlangte eine bedingte Freiheitsstrafe von 15 Monaten. Konkret warf sie dem Beschuldigten vor, er habe zwischen Anfang 2014 und Mitte 2016 die Abhängigkeit einer Frau mit geistiger und körperlicher Mehrfachbehinderung ausgenutzt.

Als Betreuer in einer Institution habe er sie während Nachtwachen in das Pikettzimmer mitgenommen. Er habe sie dort aufgefordert, sich nackt auszuziehen, um anschliessend sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen. Über die Treffen habe er mit ihr Stillschweigen vereinbart.

Eifersucht im Spiel

Gemäss Anklageschrift hatte die Privatklägerin ein besonderes Interesse am Beschuldigten entwickelt und ihn ihren Lieblingsbetreuer genannt. Die Frau sei seit vielen Jahren auf ihn fixiert gewesen, erklärte der Beschuldigte. Das habe die Arbeit in der Wohngruppe belastet, weshalb er froh gewesen sei, seinen Arbeitsplatz innerhalb der Institution wechseln zu können.

Sei er ins Wochenende oder in die Ferien gegangen, habe sie mit Wutausbrüchen und Eifersuchtsszenen auf seine Abwesenheit reagiert. Habe sie gelegentlich seine Familie angetroffen, habe sie ihr vorgehalten, sie kenne ihn viel besser als alle anderen.

Die falschen Anschuldigungen belasteten seinen Mandanten schwer, erklärte der Verteidiger. Er forderte einen Freispruch von Schuld und Strafe. Der Untersuchungsbehörde warf er vor, sie habe entlastende Beweisführungen ignoriert und nur belastende Hinweise berücksichtigt.

Keine Beweise

Die Anklage habe keinerlei Beweise für eine strafrechtlich-relevante Tat seines Mandanten. Die Frau mit körperlicher und geistiger Behinderungen habe immer wieder Geschichten erzählt, die nicht den Tatsachen entsprächen. Dies hätten mehrere Personen bestätigt. Auch sei bekannt, dass sie aufdringlich werden könne, wenn sie jemanden möge.

Der Verteidiger bemängelte zudem, dass im Pikettzimmer keine Sicherung von DNA-Spuren oder eine Observation des Beschuldigten angeordnet wurden. Er zeigte sich überzeugt, dass die Ergebnisse den Beschuldigten entlastet hätten.

Noch kein Urteil

Die Staatsanwältin war dagegen überzeugt, dass die Frau Geschehnisse schilderte, die sich in der Realität tatsächlich ereignet hatten. Das Opfer habe zwar kognitive und sprachliche Einschränkungen, dennoch habe die Frau in den zeitlich mit Abstand geführten Befragungen sehr konstant ausgesagt. Die Schilderungen seien so detailliert, dass sie nicht der Fantasie entsprungen sein könnten.

Der Beschuldigte habe die kindlich-emotionale Abhängigkeit der Frau ausgenutzt. Diese habe sich über seine Aufmerksamkeit gefreut, die sexuellen Handlungen nicht hinterfragt und sogar mit Wut und Enttäuschung reagiert, als der Beschuldigte von seiner Arbeit dispensiert worden sei.

Das Urteil steht noch aus. Bis zum Entscheid gilt grundsätzlich die Unschuldsvermutung.

(sda)

Deine Meinung