Lehrlinge aus der EU: Können Spanier unsere Cervelats stopfen?

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Lehrlinge aus der EUKönnen Spanier unsere Cervelats stopfen?

Der Bundesrat prüft, Lehrlinge aus der EU in die Schweiz zu holen, um den Lehrlingsmangel zu beheben. Die Idee stösst bei den meisten Betrieben auf wenig Begeisterung.

S. Marty/S. Heusser/S. Hehli
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S. Marty/S. Heusser/S. Hehli

Viele Branchen suchen verzweifelt Nachwuchs: Metzger, Coiffeure, Elektroinstallateure, Spitäler oder Bäcker, aber auch Informatikbuden tun sich schwer, qualifizierte Lehrlinge zu finden. Dennoch löst die Absicht des Bundesrats, den Lehrlingsmangel mit Jugendlichen aus Spanien, Portugal, Italien und Griechenland zu beheben, kaum Begeisterungsstürme aus. Walter Moser von der Zürcher Metzgerei Angst hat Bedenken wegen der Sprache: «Ohne Deutschkenntnisse nimmt ein Lehrling die falschen Gewürze für den Cervelat und verärgert damit die Kunden.» Beherrscht der Jugendliche allerdings die Sprache, würde Moser ihn anstellen.

Auch Robert Frei, Präsident der Zürcher Sektion von Coiffure Suisse und Inhaber eines Coiffeursalons, ist skeptisch: Obwohl er schon mehrere Lehrlinge mit Migrationshintergrund ausgebildet habe, würde er keinen frisch eingewanderten Lehrling nehmen, der die Sprache nicht beherrscht. «Wie soll er denn verstehen, was für eine Frisur die Kundin wünscht?» Jan Schibli von der Elektrotechnik-Firma Schibli sieht ohne Deutschkenntnisse keine Chance, dass ein Lehrling den Schulstoff meistern könne. Auch seine Auszubildenden müssen sich mit den Kunden verständigen können.

«Lehrlinge brauchen ein stabiles familiäres Umfeld»

Frank Voigt, Leiter Fachausbildungen an der Zürcher Klinik Hirslanden, betont, er sei sehr offen für die Idee von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann. Die Anforderungen für eine Ausbildung als Pflegefachperson sind allerdings hoch: Ein Schulabschluss auf höherem Niveau und gute Deutschkenntnisse sind Pflicht. «Die Lehrlinge müssten sich mit den Patienten unterhalten und auch Berichte verfassen können», so Voigt.

Die ETH Zürich bildet auch Informatik-Lehrlinge aus. Dieter Schorno, verantwortlich für Berufsbildung, betont, die Schweiz müsse zuerst das Potenzial einheimischer Jugendlicher ausschöpfen, bevor sie Ausländer holt. Er setzt ein Fragezeichen, ob die Integration von jungen Spaniern oder Italienern gelingen würde: «Im Alter von 15 bis 17 Jahren ist es sehr wichtig, dass die Lehrlinge ein stabiles Umfeld von Eltern und Freunden haben, die sie unterstützen.»

Weniger Einwände hat Marko Zivanovic von der Jaisli Xamax Elektroinstallation: «Ein Lehrling würde bei uns eine Chance bekommen, wenn er handwerklich begabt ist und einen Schraubenzieher anständig halten kann.» Keine Probleme sieht auch Eric Baumann von der Konditorei Baumann. Für Konditoren seien Deutschkenntnisse nicht zwingend. Jemand, der aus dem Ausland kommt, sei oft viel motivierter als ein Schweizer. «Wenn ein Ausländer besser geeignet ist, könnte es durchaus sein, das ich ihn einem Schweizer vorziehe.»

Finanzierung über EU-Kohäsionsmilliarde

So bleiben viele Fragen: Wie viele ausländische Jugendliche würden allenfalls in die Schweiz kommen? Welche Qualifikation müssten sie mitbringen? Wie würde für ihre Unterbringung und Entlöhnung gesorgt? Und vor allem: Wie sieht es mit ihren Sprachfertigkeiten aus? Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) will bis im Herbst Antworten liefern.

SP-Nationalrat Andreas Gross hatte in einem Vorstoss die Zahl von 250 Jugendlichen genannt. Der frühere Preisüberwacher Rudolf Strahm regt in einem Interview mit Tages-Anzeiger.ch an, die Schweiz könnte die Ausbildung der Lehrlinge mit der Kohäsionsmilliarde für die EU finanzieren.

Wollen die Ausländer überhaupt?

Eine andere offene Frage ist, wie scharf die südeuropäischen Teenager überhaupt auf Schweizer Lehrstellen sind. Die aus Portugal stammende Unia-Gewerkschafterin Marília Mendes sagt, dass die Jugendarbeitslosigkeit von 30 Prozent kombiniert mit der tief in der portugiesischen Geschichte wurzelnden Auswanderermentalität für ein gewisses Interesse sprechen. Andererseits könnte der tiefe Lehrlingslohn ein Problem sein: «Wer auswandert, möchte in erster Linie Geld verdienen.»

Dario Mordasini, Unia-Experte für Migration aus Italien, betont, es sei für die italienischen Jugendlichen vor allem wichtig, welche Perspektiven ihnen eine Ausbildung in der Schweiz bieten würde: «Es darf nicht einfach nur eine Zusatzrunde in der beruflichen Warteschlaufe sein.» Dem Klischee von den Jungen, die am liebsten bei Mamma bleiben, kann Mordasini nichts abgewinnen: «Die hohe Beteiligung an Erasmus-Programmen für Studenten zeigt, dass die jungen Italiener durchaus mobil sind.»

«Eine grosse Chance für Jugendliche»

Jugendpsychologe Leo Gehrig ist überzeugt, dass eine Lehrlingsausbildung in der Schweiz eine grosse Chance sein kann für einen Jugendlichen, der in seinem Heimatland ohne Perspektiven herumhängt. Voraussetzung seien emotionale Stabilität und innere Stärke. Da der Lernende in der Schweiz ohne soziales Netzwerk dastehe, müsse er zudem intensiv betreut werden. «Dabei kann auch die ansässige Community aus dem Heimatland helfen.»

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