Primarschule: Kommt bald Albanisch statt Französisch?

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PrimarschuleKommt bald Albanisch statt Französisch?

In der jüngsten Pisa-Studie schneiden Schweizer Schüler bei der Lesekompetenz schlecht ab. Im Kampf gegen diese Schwäche lancieren Bildungsexperten eine neue Idee.

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Schweizer europaweit top in Mathe: Ein Schüler löst an der Wandtafel Mathe-Aufgaben. (Archivbild)

Schweizer europaweit top in Mathe: Ein Schüler löst an der Wandtafel Mathe-Aufgaben. (Archivbild)

Keystone/Jörg Sarbach
Dennoch schnitt die Schweiz in allen Fächern schlechter ab als 2012.

Dennoch schnitt die Schweiz in allen Fächern schlechter ab als 2012.

Keystone/Gaetan Bally
Damit fällt sie noch unter das Niveau von 2009 zurück, als das Resultat einen eigentlichen «Pisa-Schock» ausgelöst hatte.

Damit fällt sie noch unter das Niveau von 2009 zurück, als das Resultat einen eigentlichen «Pisa-Schock» ausgelöst hatte.

Keystone/Christian Beutler

Jeder fünfte Schüler in der Schweiz kann mit 15 Jahren kaum einen einfachen Text lesen und verstehen: Das Fazit der jüngsten Pisa-Studie rüttelt Fachleute auf.

Nun lanciert der Bildungsexperte des Schweizer Lehrerverbandes, Jürg Brühlmann, eine neue Idee, um die Leseschwäche zu bekämpfen: Fremdsprachige Kinder mit Migrationshintergrund sollen Kurse ihrer Muttersprache besuchen statt Französischunterricht. «Das wäre keine Dispensation, sondern ein Ersatz», sagt er in der «NZZ am Sonntag». So hätten sie mehr Kapazitäten frei für das Erlernen von Deutsch.

«Man darf die Kinder nicht überfordern mit den Sprachen»

Als prüfenswert bezeichnet der Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz, Christoph Eymann, diese Idee aus den Reihen des Lehrerverbandes. «Das ist ein guter Ansatz, der sich diskutieren lässt», sagt er der Zeitung. «Man darf die Kinder nicht überfordern mit den Sprachen.»

Solche Entlastungen müssten jedoch im Einzelfall geprüft werden und dürften nicht für ganze Gruppen gelten. Allerdings haben Kinder mit Migrationshintergrund in der jüngsten Pisa-Studie eher etwas aufgeholt. Darum müssten auch Massnahmen für leseschwache Kinder deutscher Muttersprache gefunden werden, sagt Eymann: «Es ist wichtig, dass wir die Lesekompetenz der Schüler früh und intensiv fördern.»

Debatte über Testbedingungen

Aus Ärger über die Methoden der jüngsten Pisa-Studie haben Schweizer Lehrerverbände vergangene Woche die Teilnahme an den künftigen Evaluationen infrage gestellt. Der St. Galler Bildungsdirektor Stefan Kölliker, der im Vorstand der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) sitzt, will «unter Umständen einen Antrag stellen, an der Pisa-Studie 2018 nicht teilzunehmen», wie er den Zeitungen «Zentralschweiz am Sonntag» und «Ostschweiz am Sonntag» sagt.

Er forderte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), welche die Studie verantwortet, erneut auf, sich einer ernsthaften Debatte über die Testbedingungen zu stellen. Die Teilnahme an der nächsten Pisa-Ausgabe wurde an der EDK-Versammlung vom Juni 2015 beschlossen. Dafür sind 3,2 Millionen Franken eingestellt, welche Bund und Kantone je zur Hälfte tragen.

«Problem mit der Chancengleichheit»

Der Leiter der Pisa-Studie, Andreas Schleicher, weist die Kritik der Schweizer Erziehungsdirektoren an der neusten Pisa-Erhebung von sich. Bisher habe sich nur die Schweiz beklagt. Die Daten blieben trotz der neuen Erhebungsmethode vergleichbar, sagt er im Interview mit der «Schweiz am Sonntag» und holt zum Gegenschlag aus: Vor zehn Jahren habe es weder iPhones, soziale Medien noch Big Data gegeben. Dieser Veränderung trage die Schweiz zu wenig Rechnung. «Da erwarte ich deutlich mehr vom Schweizer Bildungssystem.»

Auffällig in der Schweiz sei zudem der Einfluss des sozialen Hintergrunds auf Leistungen: «Die Schweiz hat ein Problem mit der Chancengleichheit.» Den Schulen gelinge es nicht, diesen Nachteil auszugleichen.

«Systemversagen»

Jeder fünfte Schüler in der Schweiz ist laut der jüngsten Pisa-Studie nach neun Schuljahren ein funktionaler Analphabet, kann also aus Gelesenem keinen Sinn ziehen. «Bei einer durchschnittlichen Klassengrösse von 19 Schülern können in der Schweiz bei Schulabschluss zwei bis drei Schüler pro Klasse unzureichend schreiben und lesen», sagt Stefan Wolter, Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung in der «SonntagsZeitung».

Er nennt dies ein «Systemversagen» im laut der Zeitung zweitteuersten Schulsystem innerhalb der OECD. Im Kampf gegen den Illettrismus braucht es demnach nicht mehr Geld. Die Mittel müssten anders eingesetzt werden. (bee/chk/sda)

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