Gefährliche StuntsKommt nach dem «Killfie» jetzt «Killtok»?
Auf Tiktok kursieren neben Sing- und Tanzvideos auch waghalsige Aktionen. Ein Medienexperte erklärt, in was für eine Gefahr sich die Jugendlichen dabei begeben.
- von
- juu
Auf Skiern Freestyle einen Wald hinunter rasen und Bäumen ausweichen, Klimmzüge am Seil einer Gondel machen oder aus einem fahrenden Skilift springen – solche Videos werden derzeit auf der App Tiktok von mehreren Schweizer Usern veröffentlicht. Der Kreativität und auch dem Gefahrenlevel sind dabei keine Grenzen gesetzt. Die App reagierte entsprechend und fügt seit geraumer Zeit eine Warnung unter potentiell gefährlichen Videos an: «Die Handlungen in diesem Video können zu schwerwiegenden Verletzungen führen.» Doch die Videos verschwinden nicht.
Erst vor wenigen Jahren etablierten Forscher der Carnegie Mellon University das Wort «Killfie» (siehe Box). Gemäss einer Studie der «US National Library of Medicine» gab es zwischen 2011 und 2017 weltweit 259 Todesfälle und 137 Verletzungen oder Unfälle aufgrund von Selfies.
Die Zahl der Todesfälle pro Jahr steigt laut den Verfassern der Studie jedes Jahr stark an. Von nur drei Todesfällen im Jahr 2011 bis 93 im Jahr 2017. Auch geht man davon aus, dass die Dunkelziffer bei weitem höher liegt.
«Tiktok-Warnung könnte auch zum Nachahmen animieren»

Herr Süss*, warum sind die Menschen so motiviert, auf hohe Felsen zu klettern oder auf einem Skilift Turnübungen zu machen?
Grundsätzlich geht es um Aufmerksamkeit, Prestige und als besonders mutig oder originell zu erscheinen. Man will Grenzen ausloten. Da sind vor allem die Jungs weit vorn. Mädchen gehen erfahrungsgemäss eher in Richtung Selbstinszenierung im Bereich Schönheit und Styling.
Wie beurteilen sie diesen Trend – wird «Killfie» jetzt das neue «Killtok»?
Ich würde noch nicht von einem Trend sprechen. Das sind meist kurze Hypes. Und die grosse Mehrheit der Selfies und Tiktok-Videos sind anderer Natur. Videos von riskanten Aktionen ziehen natürlich noch mehr Aufmerksamkeit auf sich als Fotos. Plattformanbieter und Medienpädagogik sind daher gefordert, zu reagieren.
Setzen sich die Jugendlichen bewusst Gefahren aus oder realisieren sie diese vielleicht gar nicht?
Jemand der ein Risiko eingeht, hat immer die Vorstellung: Es ist zwar riskant, aber mir passiert schon nichts. Man hat dann das Gefühl, man ist unverwundbar. Jugendliche sind stärker von momentanen Emotionen bestimmt. Impulskontrolle und Abwägen sind oft noch weniger stark ausgeprägt.
Was bringt die Warnung der App?
Ich finde es auf der einen Seite sicher richtig, dass eine Warnung angebracht wird. Bei einigen könnte so das Nachahmen verhindert werden. Bei anderen könnte es aber die genau gegenteilige Wirkung haben. Nach dem Motto: Dann will ich es erst recht ausprobieren.
Ist das perfekte Video wirklich das Risiko von ernstzunehmenden Verletzungen wert?
Selbstverständlich nicht. Wenn man etwas Mutiges macht, sollte man nie das Leben von sich oder anderen gefährden, nur um Aufmerksamkeit zu erzielen. Wirksame Prävention könnte lauten: Dein Mut ist gefragt, aber anders – die Welt hat echte Probleme zu lösen!
*Daniel Süss ist Medienpsychologe und Dozent an der ZHAW.
«Killfie»
Das Wort «Killfie» wird aus den englischen Wörtern «kill» und «Selfie» zusammengesetzt. Forscher definieren die Todesfälle durch Selfies wie folgt: «Tod eines Individuums oder einer Gruppe von Menschen, der hätte vermieden werden können, wenn der- oder diejenigen kein Selfie gemacht hätte.»