Nose-to-Tail-TrendKonsumenten essen einst verpönte Fleischstücke
Der Hunger auf spezielle Fleischstücke wächst. So stark, dass es teilweise nicht genug davon hat.
- von
- Vanessa Sadecky
Statt Filet Mignon oder Kotelett landen auf Schweizer Tellern vermehrt Flanksteak, Kalbsbäckchen und das dem Steak ähnelnde Onglet. Die früher kaum bekannten Fleischstücke haben dank der Nose-to-Tail-Bewegung in letzter Zeit in der Schweiz an Popularität gewonnen. Die Bewegung setzt sich im Namen der Nachhaltigkeit und Regionalität dafür ein, dass Schlachttiere von der Schnauze bis zum Schwanz gegessen werden.
Die drei grössten Fleischwaren-Produzenten der Schweiz bestätigen gegenüber 20 Minuten, dass sie in letzter Zeit mehr sogenannte Nicht-Edelstücke verkauft haben. Die Nachfrage nach manchen Fleischstücken übersteigt sogar das Angebot: «Bei gewissen Stücken wie Spidersteaks, Flanksteaks oder Spareribs spüren wir einen Engpass», sagt ein Sprecher der Bell Food Group.
Bei der Konkurrentin Micarana gab es laut einer Sprecherin
im letzten Jahr weniger Spareribs und Flatironsteaks, als nachgefragt wurden. Die Firma Ernst Sutter verkauft nach eigenen Angeben seit kurzem mehr Kalbsschlossbeindeckel, Kalbskopfbäckchen und Flanksteaks. Zu Engpässen komme es bei den Nicht-Edelstücken immer wieder – ähnlich wie bei den Edelstücken wie Filet.
Edelstücke plötzlich verpönt
Dass gewisse Nicht-Edelstücke nun plötzlich so beliebt wie Edelstücke sind, sehen manche Anhänger der Nose-to-Tail-Bewegung kritisch: «Es gibt mittlerweile ein sehr kleines Kundensegment, dass es ablehnt, Edelstücke zu essen. Leider wird dann aber oft das Entrecôte einfach durch ein Onglet ersetzt, was allein nicht nachhaltig ist», sagt Nicole Hasler von der Beratungsfirma Eingefleischt. Bei der Nose-to-Tail-Philosophie gehe es nicht darum, bestimmte Stücke zu essen, sondern das ganze Tier.
Diese Ansicht teilt Marc-André Dietrich, Küchenchef der Hotelfachschule Luzern. Er sehe in vielen Restaurants Onglet auf der Karte, was er gut finde, jedoch noch ausbaufähig sei: «Es ist in der Schweiz noch nicht angekommen, dass Nose-to-Tail auch Innereien einschliesst.»
Herz, Lunge und Hirn noch nicht im Fokus
Der Koch, der Wert darauf legt, seinen Studierenden die Totalverwertung von Schlachttieren beizubringen, wünscht sich, dass Restaurants und Konsumenten noch offener gegenüber anderen Fleischstücken werden: «Ein Schwein hat nur ein Schnörrli und Schwänzli. Herz, Lunge, Hirn, Niere sind noch nicht im Fokus, aber sie sind es genauso wert, gegessen zu werden.»
Nose-to-Tail-Expertin Nicole Hasler rät Konsumenten, bei der Fleischauswahl flexibel zu sein: «Ich empfehle Crowd Butchering. Bei diesem System werden Tiere erst geschlachtet, wenn alle Teile eines Schlachttiers an Bieter versteigert worden sind.» Wer lieber analog einkauft, dem empfiehlt Hasler, ein Mischpaket beim Bauer oder Metzger zu kaufen.
Zumindest auf der Produzentenseite scheint sich etwas zu tun. Bei Micarna sind 2019 laut einer Sprecherin neue Produkte wie Kalbskarree und Rindsfledermäuse geplant.