Flüchtlinge Kranke Asylsuchende verzögern Verfahren
Einige Asylsuchende sind zu krank für schnelle Verfahren. Bürgerliche Politiker fordern mehr Härte. Gegner fürchten um die Menschenwürde.
- von
- B. Zanni
Innerhalb von 140 Tagen sollen 70 Prozent aller Asylsuchenden einen rechtskräftigen Entscheid erhalten – so sieht es das beschleunigte Asylverfahren vor. Doch die Verfahren, die seit dem 1. März in Kraft sind, geraten ins Stocken. Laut der «NZZ am Sonntag» ist eine wachsende Zahl von Gesuchstellern gesundheitlich derart angeschlagen, dass der Bund ihre Gesuche nicht so rasch wie geplant behandeln kann. Vor allem betroffen sind Gesuchsteller aus einem sicheren Herkunftsland, deren Gesuche die Schweiz meist ablehnt. Dazu zählen unter anderem Georgien, Algerien, Marokko, Tunesien, Nigeria, Guinea und Gambia.
Laut einem Bericht des Staatssekretariats für Migration SEM können bei Personen mit Spitalaufenthalt die Verfahrensschritte nur verzögert durchgeführt werden. Die vertieften Abklärungen der gesundheitlichen Probleme erhöhten die Verfahrensdauer. Dies hatte in zahlreichen Fällen zur Folge, dass deren Gesuche zwar abgelehnt wurden, die Gesuchsteller aber eine vorläufige Aufnahme erhielten. Deren Wegweisung wäre laut Asylgesetz unzumutbar gewesen. 2018 nahm die Schweiz laut SEM 191 Personen aus medizinischen Gründen vorläufig auf, was rund zweieinhalb Prozent aller vorläufig Aufgenommenen ausmacht. Betroffen sind vor allem Georgier und Eritreer. Um welche Art von Krankheiten es sich handelt, erfasst das Staatssekretariat für Migration nicht.
«Asylverfahren trotz Krankheit fortsetzen»
Aussenpolitiker zweifeln an der Praxis. «Man müsste die Asylverfahren trotz Krankheit fortsetzen», fordert FDP-Nationalrat Walter Müller. Sei der Gesuchsteller nach Abschluss des Verfahrens lebensbedrohlich krank, müsse der Vollzug der Rückführung aufgeschoben werden. «Nimmt man einen kranken Gesuchsteller hingegen vorläufig auf, wird die Person am Ende auch bleiben können.»
SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel kauft einem Teil der Gesuchsteller die Krankheiten nicht ab. «Es gibt Pseudo-Flüchtlinge, die alle Kniffe ausnutzen, um hier bleiben zu können. Da gehört es auch dazu, Krankheiten vorzutäuschen, um Mehrabklärungen zu provozieren. Damit werden Verfahren hinausgezögert», sagt Büchel. Dieses Vorgehen sei geradezu perfide. «Wirklich kranken Flüchtlingen, die ihre Anliegen nicht so durchdacht und ohne Schutzbehauptungen von NGOs darlegen, wird dadurch nicht mehr geglaubt.» Um faire Asylverfahren durchzusetzen, fordert Büchel, dass Behörden und Gutachter «ihre Naivität und ihr Gutmenschentum» abstreifen. «Es muss genauer hingeschaut werden.»
«Grippe oder Beinbruch sind kein Schutzgrund»
Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan hingegen stellt sich hinter die kranken Gesuchsteller. «Ein menschenwürdiges Verfahren darf nicht einem schnellen Verfahren zum Opfer fallen», sagt Arslan. Vorläufig Aufgenommene unter Generalverdacht zu stellen, weil einzelne Gesuchsteller das System vielleicht ausnutzten, sei ungerecht.
Auch Hilfsorganisationen verteidigen die Praxis. Laut Muriel Trummer, Asylexpertin bei Amnesty Schweiz, sind die Hürden für vorläufige Aufnahmen hoch. «Eine Grippe oder ein gebrochenes Bein sind kein Schutzgrund», sagt Trummer. Asylsuchende würden nur vorläufig aufgenommen, wenn sie in ihrem Heimatstaat für ihre medizinische Notlage keine oder nicht die richtige Hilfe erhalten. «Dazu zählen schwerste Erkrankungen wie Krebs- und Tumorerkrankungen, HIV oder schwere Depressionen.»
Auch beim Hilfswerk Caritas Schweiz sind kranke Gesuchsteller ein Thema. «Wir sehen in den Asylverfahren bei der gesundheitlichen Basisversorgung noch Lücken», sagt Stefan Gribi, Leiter Kommunikation bei Caritas. Durch die beschleunigten Asylverfahren bestehe das Risiko, dass gesundheitliche Probleme der Gesuchsteller nicht erkannt würden. «Gerade bei psychischen Krankheiten braucht es teilweise mehr Zeit, um eine Krankheit zu erkennen. Caritas arbeite daran, diese Lücke in Zusammenarbeit mit dem SEM zu schliessen.