Vatikan in der DefensiveKritik am Papst reisst nicht ab
Nach langem Schweigen hat Benedikt XVI. den Holocaust-Leugner Williamson endlich zum Widerruf aufgefordert. Doch das reicht nicht, meinen Kritiker.
Die Kritik an Papst Benedikt XVI. reisst nicht ab: Die Aufforderung des Kirchenoberhaupts vom Mittwoch an Bischof Richard Williamson, sich von seinen Äusserungen zum Holocaust zu distanzieren, reicht nach Ansicht des Zentralrats der Juden und zahlreicher Geistlicher nicht aus. Vielmehr müsse der Vatikan sich vollständig von den ultrakonservativen Pius-Brüdern abwenden, zu denen auch Williamson gehört, erklärte etwa Zentralrats-Generalsekretär Stephan Kramer.
Kramer erklärte bei handelsblatt.com, mit einer Kirche, der auch die Bruderschaft angehöre, könne es von Seiten der Juden keinen partnerschaftlichen Dialog geben. «Der Papst muss sich entscheiden, auf welcher Hochzeit er tanzen will», sagte der Zentralrats-Generalsekretär.
Entweder stehe Benedikt XVI. für die Kirche der Aufklärung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil oder für die Kirche des Traditionalismus mit den Pius-Brüdern. «Beides geht nicht», sagte Kramer. Es stehe zu befürchten, dass der Papst einen Kurswechsel der gesamten Kirche hin zum Fundamentalismus vollziehen wolle «auch unter Inkaufnahme hoher Verluste bei liberalen katholischen Kirchenmitgliedern».
Huber besorgt über Ökumene
Die evangelische Kirche in Deutschland (EKD) äusserte sich besorgt um die Zukunft der Ökumene. Die Leugnung des Holocausts durch Williamson, die man überhaupt nicht verharmlosen dürfe, sei «bei Weitem nicht das einzige Problem, das wir in diesem Zusammenhang zu bedenken haben», sagte der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber im Bayerischen Rundfunk.
Jeder wisse, dass die Pius-Bruderschaft das Zweite Vatikanische Konzil und das «Kirche sein» aller anderen christlichen Kirchen weit radikaler leugne als das in päpstlichen Äusserungen in letzter Zeit der Fall gewesen sei, sagte Huber. Im aktuellen Dekret des Vatikans werde eine Änderung dieser Haltung jedoch nicht verlangt.
Der Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber kritisierte im ARD-Morgenmagazin, dass der Papst die Generalaudienz am Mittwoch nicht zum Anlass genommen habe, sich persönlich zur Holocaust-Leugnung zu äussern. «Das wäre ein deutliches Signal gewesen, dass der Papst zu den Ergebnissen des zweiten Vatikanums steht. Vor allen Dingen zu der Grundüberzeugung, die die katholische Kirche und ich denke jeder Christ teilen, dass es keinen Antisemitismus geben darf und dass der mit dem christlichen Glauben unvereinbar ist», sagte der evangelische Geistliche.
Deutliche Worte des Papstes «früher gewünscht»
Der St. Galler Bischof Markus Büchel begrüsst die deutlichen Worte Papst Benedikts XVI. an Williamson. Er hätte sich die Aufforderung zum Widerruf allerdings «früher gewünscht».
Büchel und die Bistumsleitung äusserten sich am Donnerstag in einem offenen Brief kritisch zur Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der erzkonservativen Pius-Bruderschaft und zur «unsäglichen Leugnung des Holocaust durch den Lefebvre-Bischof Richard Williamson».
Man erwarte, dass die Bischöfe und Priester der Pius-Bruderschaft glaubwürdig zum Zweiten Vatikanischen Konzil bekennten, insbesondere zur positiven Einstellung zum Judentum, wie sie in der Erklärung «Nostra aetate» festgeschrieben sei.
Marx nimmt Papst gegen Merkel-Kritik in Schutz
Derweil nahm der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, Papst Benedikt XVI. gegen die Kritik von Kanzlerin Angela Merkel in Schutz. Merkel hatte den Papst aufgefordert, sich deutlich von Williamson zu distanzieren. «Mich hat diese Äusserung gewundert», sagte Marx der «Süddeutschen Zeitung» und fügte an: «Der Papst hat deutlich Stellung genommen gegen jede Leugnung des Holocaust. Er hat klargemacht, dass Antisemitismus bei uns in der Kirche keinen Platz hat. Meiner Ansicht nach ist damit alles gesagt.»
Der CDU-Politiker Georg Brunnhuber sagte der «Financial Times Deutschland», im Vatikan sei man über die Diskussion in Deutschland entsetzt. «Es herrscht der Eindruck, dass alle antikatholischen Ressentiments, die in Deutschland schlummern, jetzt an die Oberfläche kommen», wurde Brunnhuber zitiert.
(AP/SDA)
Priesterbruderschaft St. Pius X.
Die Bruderschaft hat ihre Zentrale seit 1971 in Ecône im Unterwallis; der offizielle Sitz befindet sich in Menzingen ZG. Gegründet wurde die Bruderschaft Ende der 1960er Jahre vom französischen Erzbischof Marcel Lefebvre.
Der Grund für die Abspaltung vom Vatikan und die Exkommunikation der Geistlichen 1988 war, dass der 1991 gestorbene Lefebvre und seine Anhänger die Kirchenreformen des Zweiten Vatikanischen Konzils der 1960er Jahre ablehnten. Die Traditionalisten, die die Messe im lateinischen Ritus feiern, vertreten ein antiliberales Weltbild, das sich an der Zeit des Ancien Régime (vor der Französischen Revolution von 1789) orientiert.