Digitaler Nomade«Leben in der Schweiz ist zu sehr auf Job ausgelegt»
Mit einem Laptop bewaffnet bereist er die Welt und arbeitet dort, wo es WLAN gibt: Die Sonnen- und die Schattenseiten im Leben eines digitalen Nomaden.
- von
- V. Fehlmann
«Raus aus dem Büro» – dieser Ruf wird in der Arbeitswelt immer lauter. Die naheliegendste Alternative ist das Homeoffice. Doch wer nicht so sesshaft sein will, macht einfach die Welt zu seinem Zuhause. Digitale Nomaden erobern den Arbeitsmarkt. Sie reisen rund um den Globus und können dank einem Laptop und WLAN von praktisch überall aus arbeiten. In die Tasten hauen und am Strand liegen – so sieht ihr Alltag aus.
Einer, der diesen Schritt gewagt hat, ist Philipp Meier. Der 36-jährige IT-Spezialist aus Baden AG hat sich vor zweieinhalb Jahren selbstständig gemacht, weil ihm sein Job im Büro nicht mehr passte. Derzeit verweilt er in Thailand, von wo aus er die Fäden seiner Beratungsfirma zieht. Die Gründe für seinen Entschluss sind simpel: «Ich wollte selbstständig sein und mehr Zeit mit meiner Frau verbringen. Und ich bin immer schon gern gereist.» Also zog er los. Rund neun Monate im Jahr verbringt er im Ausland. Meist bleiben die beiden ein bis zwei Monate an einem Ort, bevor es sie an den nächsten zieht.
«Unterwegs bin ich produktiver»
Der Geschäftsführer reist nur mit Handgepäck. Mehr brauche er nicht. «Wir haben uns von so vielem getrennt, es ist extrem befreiend.» Ihm fehle nichts. «Ausser sauberes Hahnenwasser, unsere Freunde, manchmal die Sauberkeit und der Austausch mit anderen Leuten.»
Doch wer jetzt denkt, Meier tippe zwei Stunden am Tag auf seinem Laptop herum und vergnügt sich danach im Ferienparadies, der irrt. «Wer selbstständig ist, ist eigentlich immer am Arbeiten. Wegen der Zeitverschiebung muss man manchmal auch sehr früh aufstehen.» Doch seit er als digitaler Nomade unterwegs ist, sei er viel produktiver. «Ich werde nicht durch andere Mitarbeiter abgelenkt, kann mich besser konzentrieren und die Atmosphäre ist viel entspannter.» Kein Wunder, kann er doch an seinem Laptop sitzen, während er sich eine Fussmassage in den Strassen von Bangkok gönnt.
Hälfte der Nomaden sind Softwareentwickler
Trotzdem vergisst er die Schattenseiten seiner Arbeit nie: «Reisen bedeutet Stress», sagt Meier. Man müsse seinen Lebensstandard heruntersetzen. Mit anderen Worten: «Wegen des Geldes muss man es nicht machen. Man darf keine hohen Ansprüche haben.»
Meiers Mitarbeiter in der Schweiz werden von ihrem Chef ermutigt, ebenfalls die Welt zu bereisen und währenddessen zu arbeiten. «Nur nutzen sie es zu wenig.» Dabei verdienen manche digitalen Nomaden richtig gutes Geld. Rund die Hälfte seien Softwareentwickler. Doch auch Eventmanager oder Marketingspezialisten seien an den Treffen zu finden. Auffällig: «Obwohl viele aus der IT-Branche stammen, sind es etwa gleich viele Frauen wie Männer, die man in den Co-Working-Spaces antrifft.»
Büroarbeitsplatz ist kein Thema mehr
Meier ist überzeugt: «Die klassische Büroarbeit wird mehr und mehr verschwinden. Wenn sich das etabliert, ist es egal, wo die Leute arbeiten, solange kein persönlicher Kontakt nötig ist.» Das digitale Nomadenleben dürfte folglich keine Randerscheinung bleiben. Mittlerweile gibt es Fachvorträge und Gruppierungen, die sich einzig dem Thema «Digitale Nomaden» widmen.
Sich zurück an einen fixen Büroarbeitsplatz zu setzen, das kann sich der Weltenbummler nicht vorstellen. Spätestens wenn die Familienplanung ernst wird, dürfte sich sein Leben jedoch wieder ändern. Wo er sich dann niederlassen will, weiss Meier noch nicht. «Das Leben in der Schweiz ist zwar schön, aber ein wenig zu sehr auf das Arbeiten ausgelegt.»