Wegen Tschernobyl: Lebensmittel noch immer radioaktiv

Aktualisiert

Wegen TschernobylLebensmittel noch immer radioaktiv

Zum 25. Mal jährt sich die Atomkatastrophe von Tschernobyl in diesem Jahr. Die ukrainische Bevölkerung leidet immer noch an deren Folgen.

von
V. Schmitt-Roschmann
AP

Auch 25 Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl sind Lebensmittel wie Milch, Pilze und Beeren in einigen Regionen der Ukraine teils erheblich radioaktiv belastet. Nach einer neuen Greenpeace-Studie überschritt die Strahlung zum Beispiel in Proben von Trockenpilzen aus einzelnen Regionen 300 Kilometer westlich des Katastrophenmeilers den zulässigen Grenzwert um mehr als das Hundertfache.

«Wir haben immer noch verseuchte Lebensmittel und dies stellt nach wie vor ein Gesundheitsrisiko dar», sagte Greenpeace-Wissenschaftlerin Irina Labunska am Mittwoch in Kiew. Vor allem Kinder litten unter der Belastung.

In Tschernobyl nördlich von Kiew war im April 1986 ein Atomreaktor explodiert und hatte grosse Mengen radioaktiven Materials freigesetzt, das sich über grosse Teile Europas verteilte. Während eine 30-Kilometer-Zone rund um den Reaktor auf Dauer gesperrt wurde, war auch in entlegeneren Gebieten der Ukraine teils erhebliche Strahlung nachweisbar. Wie stark die heute dort angebauten Lebensmittel verseucht sind, liegt nach Darstellung von Greenpeace unter anderem an der Bodenbeschaffenheit.

Die ukrainische Regierung stellte nach Angaben von Greenpeace ihr eigenes Überwachungsprogramm vor zwei Jahren ein. Wissenschaftler der Umweltgruppe entnahmen deshalb im März dieses Jahres in einem Dorf der Region Rokytne eigene Stichproben und liessen sie auf das radioaktive Element Cäsium 137 untersuchen, das mit einer Halbwertszeit von etwa 30 Jahren besonders langlebig ist.

Ergebnis: 93 Prozent der untersuchten Milchproben überschritten die ukrainischen Strahlengrenzwerte für Kinder um das bis zu 16-Fache. In Beeren wurde bis zu 4,5 Mal so viel Strahlung nachgewiesen wie zulässig. In getrockneten Pilzen lag der Messwert mit 288.000 Becquerel pro Kilo sogar 115 Mal so hoch wie zugelassen. Proben aus der Nähe von Kiew, die als Gegenprobe untersucht wurden, waren laut Greenpeace aber nicht übermässig belastet. Insgesamt wurden 114 Proben getestet.

Messungen nicht repräsentativ

Die Umweltgruppe betonte, dass die Messungen nicht repräsentativ seien, sondern nur eine «Pilotstudie». Staatlich finanzierte Messungen bis zum Jahr 2009 zeigen jedoch eine ähnliche Tendenz, wie der Studienleiter des Gebiets Rokytne, Wolodimir Schuljak, auf einer Greenpeace-Tagung berichtete. So waren nach seinen Angaben in der Region im Jahr 2000 rund 60 Prozent der untersuchten Pilze zu stark radioaktiv belastet; 2009 waren es - nach erheblichen Schwankungen über die Jahre - sogar 76 Prozent. Pilze und Milch seien die Hauptquellen einer übermässigen Strahlenbelastung der Bewohner, die sich 2009 noch bei 25 Prozent der Bevölkerung der Region habe nachweisen lassen.

Milch, Pilze, Beeren und selbstgezogenes Gemüse spielt nach Darstellung der Wissenschaftler eine grosse Rolle für die Ernährung der bitterarmen ländlichen Bevölkerung in der Westukraine. Vor allem Kinder litten deshalb unter erheblichen gesundheitlichen Folgen, sagte Igor Bogdanez, stellvertretender Leiter des Distriktkrankenhauses von Rokytne. Vor allem eine Schwächung des Immunsystems und Anfälligkeit für Infektionen wie Lungenentzündungen seien die Folge. Etwa zwei Drittel der rund 15 000 Kinder des Distrikts seien betroffen. Nehme man die Folgen von Armut und die sozialen Probleme hinzu, gelte: «Es gibt keine gesunden Kinder bei uns.»

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