Interview zum Film «Control»Licht & Blindheit
Nur wenige Filme sind die Bestimmung eines Regisseurs. Aber «Control» ist für Anton Corbijn genau das. Schliesslich zog der holländische Fotograf und Filmemacher wegen jener Band nach London, die er jetzt eindrücklich porträtiert hat: Joy Division.
- von
- Thomas Nagy
Anton, «Control» stösst auch ausserhalb von Musikerkreisen auf grosse Begeisterung. Wie erklärst du dir das?
Anton Corbijn: In meinem Film geht es nicht in erster Linie um Joy Division, sondern um diesen Jungen, der zum Sänger der Band wird. Ian Curtis lebte ein dramatisches Leben: Anfangs schien alles so optimistisch, aber dann ging es abwärts. Es ist auch eine dramatische Liebesgeschichte über einen Jungen, der zerrissen war. Dazu kamen die epileptischen Anfälle. Das sind universelle Themen. Ich möchte die Musik nicht kleinreden damit, denn sie ist grossartig. Aber sie ist nur ein Teil des Films.
Du hast anfangs gezögert, das Projekt anzunehmen. Hast du im Nachhinein das Gefühl, der richtige Mann für diesen Job gewesen zu sein?
Anton Corbijn: Ich denke schon. Ich war mir unsicher, weil ich nie zuvor einen Spielfilm gedreht hatte, und ich wollte das Projekt ja nicht verhauen. Man will keinen schlechten Film machen, denn es könnte lange dauern, bis Ian Curtis ein weiterer Film gewidmet wird.
Wie hast du Curtis und Joy Division
kennen gelernt?
Anton Corbijn: Ich war Fotograf und liebte ihre Musik. Und das so sehr, dass ich 1979 wegen ihnen nach England zog. Zwei Wochen später traf ich sie und durfte sie fotografieren – in einer U-Bahn-Station und mit nur 10 Minuten Zeit. Ich war sehr scheu und sprach fast kein Englisch, unterhielt mich also kaum mit ihnen. Aber sie mochten meine Bilder, was sonst niemand tat. Sie verwendeten eines davon für ein Cover, und ich wurde noch ein oder zwei Mal danach eingeladen, sie zu fotografieren.
Haben dir diese Begegnungen dabei geholfen, den Film zu machen?
Anton Corbijn: Die Tatsache, dass ich zu jener Zeit dabei war, hat mir mit dem Kontext des Films geholfen und auch dabei, mit den verbleibenden Mitgliedern der Band – die heute als New Order bekannt sind – zu reden. Meine Bilder und mein Video zu «Atmosphere» haben mir da sicher einige Türen geöffnet – ich bin sozusagen kein Fremder in der Materie.
Was bei den fanatischen Fans der Band zu Problemen hätte führen können.
Anton Corbijn: Allerdings. Ich habe Joy Division live gesehen, wusste also, dass ich ihre Konzerte richtig darstellen kann. Damit waren die Fans zufriedengestellt, die tatsächlich sehr pingelig sein können. Zur Geschichte von Ian gibt es aber keine Referenzen. Da ging es vor allem darum, mit den Menschen um ihn herum zu sprechen. Das war ein sehr wichtiger Teil der Arbeit, wenn nicht sogar der wichtigste.
Dieser Film steht und fällt mit seinem Hauptdarsteller. Wie hast du Sam Riley gefunden?
Anton Corbijn: Wir haben viele Schauspieler angefragt, auch bekannte. Als ich bei den Castings das Tape von Sam sah, fühlte ich mich an meine Zeit mit Joy Division erinnert. Das waren Musikerkids, die kein Geld hatten, schlecht angezogen und mager waren und einfach dastanden und Zigaretten rauchten. Riley war genau so. Ich war nervös, weil er keine Erfahrung hatte. Aber das gab ihm eine Echtheit, die sich am Schluss mehr als ausgezahlt hat.
«Control»
Der Mythos Ian Curtis, der sich 1980 im Alter von 23 Jahren das Leben nahm, sitzt bis heute in vielen Köpfen und Herzen. Seine Band Joy Division hat mit ihrer verzweifelten Musik das Genre des Post-Punk massgeblich mitgeprägt. Nachdem die Verfilmung seiner Geschichte in England bereits vergangenen Herbst in den Kinos zu sehen war, kommt sie aufgrund des unerwartet grossen internationalen Erfolgs nun auch bei uns in die Lichtspielhäuser.
«Control», Regie: Anton Corbijn, mit: Sam Riley, Samantha Morton, Alexandra Maria Lara. Jetzt im Kino.