Sexueller Missbrauch«Loverboys betreiben Kinderhandel»
Loverboys gaukeln minderjährigen Mädchen die grosse Liebe vor. Später beuten sie ihre Opfer sexuell aus. Nun warnt eine Nationalrätin.
- von
- bus
Es begann harmlos: Simon* war der nette Typ, aufmerksam und einfühlsam, machte ihr Geschenke. Teenagerin Melanie* hat Simon in einem Chatroom kennen gelernt, verliebt sich in ihn, schläft mit ihm – er ist ihre erste grosse Liebe. Doch schon bald wird er brutal, misshandelt das minderjährige Mädchen, schlägt und würgt es. Am Ende zwingt er es zum Sex mit fremden Männern und verlangt Videoaufnahmen davon.
Monatelanges Martyrium
«Warum soll ich das tun?», fragt Melanie. Das sei normal, antwortet ihr Freund. «Das machen alle. Du liebst mich doch. Oder nicht?» Zu diesem Zeitpunkt ist Melanie emotional abhängig von Simon und hatte sich von ihrer Familie distanziert. Die junge Frau ist das Opfer eines Loverboys. Als sich Melanie schliesslich unter Tränen ihrer Mutter anvertraut, hat sie ein monatelanges Martyrium erlebt. Über den Fall berichtete kürzlich die «NZZ am Sonntag».
Melanies Fall ist einer von elf, die der Beratungs- und Meldestelle gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung (ACT212) im Jahr 2017 gemeldet wurden. «Da die Opfer in der Regel noch minderjährig sind, betreiben Loverboys nicht nur Menschenhandel, sondern einen regelrechten Kinderhandel», sagt Irene Hirzel von ACT212 (siehe Box).
«Merken es zu spät»
Die Zahl hat Marianne Streiff, Nationalrätin und Parteipräsidentin der EVP, aufgeschreckt. «Die Meldungen – mit teils dramatischen Schilderungen – nehmen zu und sind vermutlich nur die Spitze des Eisbergs.» Streiff vermutet, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegt. «Vielen Eltern und ihren Kindern ist das Phänomen der Loverboys nicht bekannt.»
Sie will auf das Thema aufmerksam machen und verhindern, dass Mädchen auf Loverboys hereinfallen. «Bis sie merken, an wen sie geraten sind, ist es zu spät. Mit Liebe hat das nichts zu tun», sagt Streiff. Sie will mit einer Interpellation vom Bundesrat wissen, wie er junge Mädchen vor Loverboys schützen möchte.
Eltern in Not
Die EVP-Nationalrätin will die Öffentlichkeit sensibilisieren. «Gerade an den Schulen und unter den Eltern ist Prävention nötig.» Eltern, deren Kinder Opfer eines Loverboys wurden, wüssten nicht, an wen sie sich wenden können. In ihrer Not hätten verunsicherte Eltern sich schon an deutsche Beratungsstellen gewandt. «Denn das Phänomen der Loverboys nimmt zu – auch in der Schweiz», sagt Streiff.
*Namen geändert

Frau Hirzel*, wie kommen Loverboys mit ihren minderjährigen Opfern in Kontakt?
Meist kommen Loverboys quasi durchs Kinderzimmer – über soziale Medien – in Kontakt mit ihren späteren Opfern. Für viele Mädchen ist es die erste grosse Liebe. Er ist der Prinz ihrer Träume. Doch schon bald ändert er sein Verhalten.
Was passiert dann?
Er macht die Opfer systematisch von sich abhängig und sondert sie zunehmend von Freunden und Familie ab. Ist die emotionale Abhängigkeit erst einmal erreicht, kann er vom Mädchen fast alles verlangen. Dazu gehören Hardcore-Sexpraktiken, Sex mit «Freunden», die eigentlich bezahlte Freier sind, oder das Herstellen von Pornofilmen. Schon bald ist er nicht mehr der Freund, sondern Zuhälter.
Wie oft kommt das vor?
Im Jahr 2017 wurden uns 11 Fälle gemeldet; die Dunkelziffer dürfte aber massiv höher liegen. Aus Scham holen viele Betroffene keine Hilfe. Das Phänomen der Loverboys ist in der Schweiz – im Gegensatz zum Ausland – zudem kaum bekannt. Deshalb wollen wir sensibilisieren und aufzeigen, dass es Hilfe gibt und Betroffene nicht allein sind.
*Irene Hirzel ist Geschäftsführerin der Melde- und Beratungsstelle gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung (ACT212). Tel. 0840 212 212 oder act212.ch