Wahlen in Brasilien«Lula steht vor einer Herkulesaufgabe»
Am Sonntag wurde Lula da Silva zum neuen Präsidenten in Brasilien gewählt. Mit der radikalisierten Gesellschaft und dem rechtsorientierten Repräsentantenhaus und Senat wird das Regieren keine leichte Aufgabe.
Darum gehts
Der hauchdünne Sieg ist dennoch ein Sieg
Lula da Silva sagte in seiner ersten Rede nach der Wahl, das extrem gespaltene Land wieder versöhnen zu wollen. «Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren», sagte der 77-Jährige in São Paulo. «Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk.» Das Wahlresultat zeigt aber: Die Hälfte der brasilianischen Bevölkerung hat für Bolsonaro gestimmt. Dennoch sei es auf jeden Fall ein Sieg für Lula, sagt Brasilien-Expertin Melina Teubner von der Universität Bern. «Diesen Sieg sollte man als Erfolg für Brasilien betiteln.» Das Resultat zeige aber, wie sehr das Land gespalten sei: «Zwischen beiden Seiten gibt es keinen Dialog mehr. Es hat sich eine grosse Kultur des Hasses etabliert», so Teubner.
Lula wird es schwer haben zu regieren
Der Kongress, der Senat und die Mehrheit der Staaten, vor allem die Wirtschaftsstärksten, haben eine Mitte-Rechts-Mehrheit. Für Lula wird es schwer sein, gegen diese Opposition anzukommen. «Er muss nun eine noch grössere Offenheit für neue Allianzen haben – auch für neue ideologische Allianzen», sagt Teubner. Er könne nicht mehr nur der Präsident für die Arbeiterpartei sein, sondern müsse sich mehr zur Mitte und rechten Partei orientieren, um Koalitionen und Mehrheiten im Kongress erreichen zu können. «Es ist wichtig, dass Lula Koalitionen schafft, um überhaupt regieren zu können.»
Was erwarten die Wähler von Lula?
Der Wahlkampf Lulas hat sich fast ausschliesslich auf die Opposition gegen Bolsonaro konzentriert. Dadurch ist seine politische Agenda sehr vage geblieben. Jedoch versprach Lula, gegen die hohe Inflation im Land angehen zu wollen. Knapp 33 Millionen Menschen in Brasilien sind in einer wirtschaftlich prekären Lage. Daher erhoffen sich Lulas Wählerinnen und Wähler stärkere Sozialprogramme, höhere Mindestlöhne und auch ein besseres Gesundheitssystem. «Um die Sozialprogramme zu finanzieren, will Lula Steuerreformen. Leute, die mehr verdienen, sollen mehr Steuern zahlen müssen, um die Sozialprogramme zu finanzieren», so Teubner. Ebenfalls soll das öffentliche Bildungssystem wieder gestärkt werden.
Ist Lula für Brasilien und andere Staaten besser?
Laut der Expertin bringt Lula eine klare Verbesserung für Brasilien. Lula wolle keinen Hass verbreiten und Präsident von allen sein. Unter Bolsonaro sei eine starke Radikalisierung entstanden. «Vor allem wird der neu gewählte Präsident wieder auf internationaler Ebene eine Kultur des Dialogs vertreten», sagt Teubner. Unter dem jetzigen Präsidenten habe eine Abgrenzung der internationalen Politik stattgefunden.
Kommt es nun zu einem Putschversuch?
Das war unter Bolsonaros Anhängern jüngst immer wieder ein Thema. Dass es aber tatsächlich zu einem Putschversuch kommt, glaubt Brasilien-Expertin Melina Teubner nicht. «Dafür fehlt ihm dann doch die Unterstützung im Land.» Was jedoch erhalten bleiben könnte, sei die Gewalt im Kleinen. «Schiessereien zwischen Wählerinnen und Wählern unterschiedlicher Lager sind weiterhin vorstellbar.» Ausserdem müsse man damit rechnen, dass Bolsonaro weiterhin politisch aktiv bleiben werde und eine politisch starke Bewegung – die er bereits geschaffen hat – weiterhin vorantreiben werde.
Kann Lula den politischen Graben in der Bevölkerung wieder schliessen?
Das kann man laut der Brasilien-Expertin nicht genau voraussagen. Die beiden Fronten seien im Moment noch zu sehr radikalisiert. Sicher ist laut Teubner: «Lula steht vor einer Herkulesaufgabe.» Das Wichtigste sei nun, den Dialog mit beiden Lagern zu suchen. Denn die Gesellschaft sei sehr gespalten. Die Lage in Brasilien werde angespannt bleiben. «Ob Lula die brasilianische Demokratie retten kann, bleibt abzuwarten. Aber sie ist mit seiner Wahl weniger gefährdet, als wenn Bolsonaro eine zweite Amtszeit bekommen hätte. Denn dann hätte er versucht, demokratische Institutionen weiter zu schwächen», sagt Teubner.
Glaubst du, der neu gewählte Präsident Lula da Silva kann die Spaltung im Land besänftigen?
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