«Männer fürchten sich davor, Macht abzugeben»

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Trans Aktivist Henry Hohmann«Das Thema Trans ist bei den Leuten angekommen, die Entwicklung stimmt»

Viele sind skeptisch gegenüber Anliegen von trans Menschen. Trans Aktivist Henry Hohmann sagt, warum.

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Henry Hohmann, trans Aktivist und Mit-Gründer sowie früherer Präsident von Transgender Network Switzerland: «Ich bin positiv überrascht. Wir sind bereits an einem ganz anderen Punkt als noch vor wenigen Jahren.»

Henry Hohmann, trans Aktivist und Mit-Gründer sowie früherer Präsident von Transgender Network Switzerland: «Ich bin positiv überrascht. Wir sind bereits an einem ganz anderen Punkt als noch vor wenigen Jahren.»

Lucia Hunziker

Darum gehts

  • 48 Prozent der Bevölkerung finden die Möglichkeit der zivilstandsamtlichen Geschlechtsänderung gut, ebenso viele sind dagegen.

  • Hingegen lehnen 62 Prozent ein drittes Geschlecht, «divers», ab.

  • Trans Aktivist Henry Hohmann, Mitgründer von Transgender Network Switzerland, hält die Umfrage-Resultate dennoch für erfreulich.

Herr Hohmann, die Hälfte der Bevölkerung will nicht, dass man den Namen und das Geschlecht auf dem Zivilstandsamt ändern kann (siehe Box). Enttäuscht Sie das?

Nein, das Glas ist halb voll. Die Hälfte der Befragten finden es gut. Eher im Gegenteil: Ich bin positiv überrascht. Wir sind bereits an einem ganz anderen Punkt als noch vor wenigen Jahren. Das Thema ist bei den Menschen angekommen, die Entwicklung stimmt. Dass einige damit noch Mühe haben, verstehe ich.

Mehrheit gegen drittes Geschlecht

Ein drittes Geschlecht wird grossmehrheitlich abgelehnt.

Bei dieser Diskussion stehen wir noch ganz am Anfang. Man muss sehen, was sich in den letzten Jahren verändert hat. Noch vor 20 Jahren waren Transgender-Themen öffentlich fast nicht präsent, mit Ausnahme von tragischen Opfergeschichten wie jener von Coco. In den letzten zehn, 15 Jahren hat sich die mediale Berichterstattung in Richtung Information und Hintergrund geändert. Und es gibt Personen dritten Geschlechts, welche das Thema ins öffentliche Bewusstsein katapultieren, wie etwa Kim de l’Horizon. Kim ist wie ein Türöffner. Auf der einen Seite ist es schade, dass Kims Non-Binarität viel mehr besprochen wurde als Kims Buch. Auf der anderen Seite ist es für alle Transgender-Personen ein grosser Gewinn, wenn jemand hinsteht und sagt: So bin ich.

Wie kann ich über Kim de l’Horizon reden, ohne falsche Pronomen zu benutzen?

Die deutsche Sprache und auch die romanischen Sprachen sind total auf das Geschlecht fixiert. Der Thomas, die Maria. Für die Entwicklung hin zu einer Sprache, die alle Menschen mit einbezieht, ist das problematisch. Neutral zu reden, ist schwierig. Korrekt ist etwa: Kim sagt, Kims Auto sei kaputt. Es ist immer auch ein Denk-Akt. In angelsächsischen Sprachen ist es einfacher.

Männer sind viel skeptischer gegenüber Geschlechtsänderung, gendergerechter Sprache und Trans-Themen allgemein. Warum?

Das hat viel mit dem Patriarchat, mit Macht und Privilegien zu tun. Männer sind am stärksten bedroht und fürchten sich davor, Macht abzugeben, wenn die Welt weiblicher und teilweise linker wird. Wer gibt schon gerne Macht und Privilegien ab? Heute sage ich «zum Arzt gehen», meine aber weibliche und männliche und sogar auch non-binäre Ärzte. Doch wegen des generischen Maskulinums wird nur die männliche Form ausgesprochen. Veränderung macht Angst, vor allem jenen, welche in einem System besonders präsent sind oder Privilegien haben. Auch die Kernfamilien geraten ins Wanken. Von Männern wird heute erwartet, dass sie sich im Haushalt betätigen. Doch Angst ist nicht angebracht. Durch mehr Sensibilität und einen besseren Einbezug von trans Menschen gewinnen alle, niemand verliert etwas.

Sind die Schweizer skeptisch gegenüber Transgender-Anliegen?

Die grosse Mehrheit findet, trans Frauen sollen im Sport nicht bei den Frauen starten dürfen. Auch hier ist der Widerstand bei den Männern grösser als bei den Frauen.

Das ist sehr seltsam, denn es betrifft die Männer gar nicht. Trans Männer hingegen dürfen ohne weiteres in der Kategorie der Männer mitmachen. Trans Frauen sind in vielen Ländern extremem Hass und extremer Gewalt ausgesetzt. Sie stehen oft ganz unten in der Gesellschaftsordnung. Die Aggressionen kommen meistens von Männern aus. Ich interpretiere es so, dass Männer sich bedroht sehen, wenn andere Männer, also trans Frauen, den «Männlichkeitsbereich» freiwillig verlassen und als Frau leben wollen. Das ist aus ihrer Sicht ein Abstieg.

Spüren Sie persönlich, dass sich etwas verändert hat?

Persönlich und als Aktivist spüre ich die Veränderung definitiv. Vor 13 Jahren haben wir das Transgender Network Switzerland gegründet mit dem Ziel, zu bilden und aufzuklären. Heute ist die Sensibilität eine ganz andere, in vielen Unternehmen und auch in der Gesellschaft. Es gibt aber schon noch Verbesserungspotenzial, so genannte strukturelle Behinderungen. Etwa bei der Frage, in welcher Kabine sich trans Personen umziehen dürfen. Oder im Gesundheitswesen, wo trans Personen oft nicht mitgedacht werden. Sie gehen dadurch auch seltener zum Arzt. 


Die Umfrage

30’754 Personen aus der ganzen Schweiz haben am 28. und 29. März 2023 an der Umfrage zu Sprache, Geschlecht und zur Diskussionskultur in der Schweiz von 20 Minuten und Tamedia teilgenommen. Die Umfrage wurde in Zusammenarbeit mit LeeWas durchgeführt. LeeWas modelliert die Umfragedaten nach demografischen, geografischen und politischen Variablen. Der Fehlerbereich liegt bei 1,0 Prozentpunkten.

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