Angriffe auf WahlbürosMafia als Gewinnerin der Wahlen im Kosovo
KFOR-Kommandant Patrick Gauchat berichtet von gezielten Attacken gegen Wahlbüros bei der Kosovo-Wahl. Von den abgebrochenen Wahlen profitiert das organisierte Verbrechen.
- von
- gux
Die Stadt Mitrovica ist in einen serbischen und einen albanischen Teil gespalten. Hier treffen die meisten Befürworter und Gegner der im Vorfeld als historisch gefeierten Wahl im Kosovo aufeinander. Das ist einer der Gründe, wieso es hier am gestrigen Wahlsonntag zu schweren Übergriffen auf die Wahllokale kam.
Die Kosovo-Truppe KFOR, der NATO-geführten multinationalen Kosovo Force, musste wegen der Gewaltakte in Mitrovica und Zvecan eingreifen. Auch die Mitarbeiter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mussten sich wegen der Übergriffe und des Einsatzes von Tränengas zwei Stunden vor Wahlende zurückziehen. Soldaten sicherten schliesslich den Transport von Wahlzetteln aus dem Norden in die Kosovo-Hauptstadt Pristina.
«Gezielte Attacken auf Wahllokale»
Auch Schweizer Swisscoy-Soldaten wurden Zeugen der Attacken. Rund zwei Dutzend von ihnen sind nur wenige Kilometer von Mitrovica, im Camp Novo Selo, stationiert.
Sie beobachteten Überfälle maskierter Männer auf Abstimmungslokale und Zerstörung von Wahlurnen und Abstimmungsmaterial. «Es waren gezielte Attacken gegen die Wahllokale», so KFOR-Kommandant Patrick Gauchat im Gespräch mit 20 Minuten.
«Gruppen mit bis zu 40 Männern»
«Gruppen mit bis zu 40 Männern tauchten gegen 17 Uhr auf, schlugen Räumlichkeiten und Einrichtungen kurz und klein und verschwanden wieder. Gegen 18.30 Uhr hatte sich die Lage beruhigt», sagt der Fribourger Oberst, der für die Verbindungs- und Beobachtungsteams der KFOR im Nord-Kosovo verantwortlich ist.
Die Swisscoy ist Teil der KFOR. Sie kommt im Konfliktfall nicht zum Ordnungseinsatz, sondern ermittelt die Bedürfnisse der Bevölkerung. Entsprechend habe man am Wahlsonntag auch nicht die KFOR begleitet, sondern sich mitten in der Bevölkerung aufgehalten, so Oberst Gauchat.
Serbischer Kandidat verprügelt
Am Sonntag bedrohten serbische Extremisten die Wähler oder filmten sie zwecks Einschüchterung. Oberst Gauchat hat aber keine Kenntnisse darüber, dass es am Wahltag zu physischer Gewalt gegenüber Wählern kam. Verschiedene Nachrichtenagenturen hatten gemeldet, dass Menschen verprügelt worden seien.
Gauchat präzisiert jedoch: Es habe im Vorfeld der Wahlen Angriffe gegeben. Etwa gegen den serbischen Bürgermeisterkandidaten Kristimir Pantic, der am Samstag, einen Tag vor der Wahl, von Unbekannten verprügelt worden war.
«Über hundert Wahlbüros»
Die Unruhen am Wahltag hatten sich also angekündet. Waren die kosovarische Polizei, EULEX und KFOR denn nicht genügend vorbereitet, um Angriffe gegen Wahllokale zu unterbinden? Gauchat winkt ab: «Es gibt im Norden Kosovos über hundert Wahlbüros. Ihre Bewachung ist Aufgabe der lokalen Polizei. Diese hat nicht genug Personal, um jedes einzelne Wahlbüro im Auge zu behalten. Zudem: In drei von vier Gemeinden war es am Sonntag ruhig.»
Die Lage nach der Wahl bleibt unübersichtlich, derzeit wird sogar eine Teilannulation erwogen. Vorläufige Ergebnisse für die Wohngebiete der serbischen Minderheit konnten bislang nicht veröffentlicht werden. Serbien drängt nun auf eine Wiederholung der Wahl vom Sonntag, die EU wiegelt aber noch ab.
Organisiertes Verbrechen als Sieger
Fest steht: Der Wahltag hat nicht zu einer Normalisierung zwischen Serbien und Kosovo beigetragen, im Gegenteil. Die 40'000 im Nordkosovo lebenden Serben wollen weiterhin von Serbien aus kontrolliert und nicht in den Kosovo integriert werden, trotz der Zusicherung einer gewissen Autonomie.
Zu diesem Zeitpunkt sind auch die Gewinner der misslungenen Wahl klar: Es sind jene kriminelle Organisationen, die seit Jahren von Waffen- und anderen Schmuggelgeschäften in dem weitgehend rechtsfreien Raum profitieren. Die Schlägertrupps, die am Sonntag Wahllokale angriffen und Wähler einschüchterten, dürften sich nicht nur aus serbischen Nationalisten, sondern auch aus diesen Reihen rekrutiert haben. (gux/sda)
Kosovo erklärt Wahlen für gültig
Der kosovarische Ministerpräsident Hashim Thaci hat die Wahlergebnisse aus den vorzeitig geschlossenen Wahllokalen im Norden des Kosovos für gültig erklärt.
Bei den Kommunalwahlen habe der mehrheitlich von Serben bewohnte Teil des Landes «rechtmässige Vertreter» gewählt, sagte Thaci am Montag. Eine Entscheidung der Wahlkommission über eine eventuelle Annullierung der Wahl im Norden des Landes steht indes noch aus.