Tod einer Inhaftierten (†29)«Man wollte die nackte Simulantin auf dem kalten Boden frieren lassen»
Die Staatsanwaltschaft griff in ihrem Plädoyer zu harten Worten, forderte am Ende aber nur bedingte Strafen für die Beschuldigten. Eine 29-jährige Frau hatte sich 2018 in deren Obhut im Gefängnis tödliche Verletzungen zugefügt.
- von
- Steve Last
Darum gehts
Im Juni 2018 starb eine 29-jährige Frau im Unispital Basel, nachdem sie sich in einer Zelle des Untersuchungsgefängnisses Waaghof stranguliert hatte.
Die Staatsanwaltschaft wirft vier Aufsichtspersonen fahrlässige Tötung durch Unterlassen vor und fordert bedingte Freiheitsstrafen für drei von ihnen, sowie eine bedingte Geldstrafe für die vierte.
Die Verteidigenden hingegen fordern Freisprüche für die Beschuldigten.
Am Mittwoch legten die Staatsanwaltschaft und die Verteidigenden ihre Sicht der Dinge zum Tod der 29-jährigen Frau dar, die sich im Untersuchungsgefängnis Waaghof stranguliert hatte. Sie erlag zwei Tage später ihren Verletzungen im Spital. Vier Aufsichtspersonen werden der fahrlässigen Tötung beschuldigt, weil sie nicht zumutbar geholfen hätten, obwohl die Frau unter ihrer Obhut stand. Am Dienstag hatten sie vor Gericht ausgesagt, dass sie davon ausgingen, dass ihnen die Frau etwas vorspielt.
Die Staatsanwaltschaft fand deutliche Worte: «Ein Mensch ist gestorben. Und sie ist in den Armen des Staates gestorben». Der Grund für den Tod der Frau sei der «fatale Fehlschluss» der Beschuldigten, dass die Bewegungslosigkeit nur gespielt war. Die Aufsehenden hatten die Frau, nachdem sie sie aus der Strangulation befreiten, in der Ecke der Zelle liegen lassen.
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Gerhirnschäden nach wenigen Minuten
«Man wollte die nackte Simulantin auf dem kalten Boden frieren lassen», sagte der Staatsanwalt zur mutmasslichen Motivation der Beschuldigten. Nach Auffassung der Anklage hatte die Frau aber in ihrer Verzweiflung versucht, sich das Leben zu nehmen und sei nicht urteilsfähig gewesen. Schon nach dem Losschneiden seien gemäss Gutachten erste Gehirnschäden aufgetreten. Das hätten die Beschuldigten nicht wissen können, gibt die Staatsanwaltschaft zu, jedoch hätten sie alles Mögliche unternehmen müssen, um den Tod zu verhindern. Das hätten sie nicht getan.
Die Staatsanwaltschaft anerkannte, dass die Beschuldigten im schwierigen Umfeld des Haftvollzugs einen «knochenharten Job» leisten. So dürfe von ihnen auch nicht das Unmögliche verlangt werden. Ein Vorgehen nach dem ABC-Schema, die stabile Seitenlage und die Alarmierung der Sanität seien für die Berufsleute aber zumutbar. Aus Rapporten des Gefängnisses gehe schliesslich hervor, dass die in anderen Fällen auch funktioniert habe. Für die beschuldigte Aufseherin wurde eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen gefordert, für die drei Männer bedingte Freiheitsstrafen von sieben bis neun Monaten. Für alle soll eine Probezeit von zwei Jahren gelten.
Verteidigung fordert Freisprüche
Die Verteidigenden hingegen forderten kostenlose Freisprüche für die vier Beschuldigten. Was die Beurteilung der Situation angeht, waren sie sich weitgehend einig. Sie hätten zwar einen Fehler gemacht und die Lage falsch eingeschätzt. «Nachdem sie die Notsituation erkannten, haben sie richtig gehandelt», hielt einer der Anwälte fest. Sie hätten mit der Herzmassage begonnen, den Defibrillator geholt und die Sanität alarmiert, wenn auch über den Polizeinotruf.
Als wichtigster Grund für die geforderten Freisprüche wurde aber ein juristischer angeführt: Weil nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden könne, dass die Frau urteilsunfähig war, könne man auch niemanden wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Denn nur in dem Fall seien die Beschuldigten dazu verpflichtet gewesen, es zu verhindern. Einer urteilsfähigen Person stehe es frei, sich das Leben zu nehmen und es gebe in dem Zusammenhang keinen Straftatbestand. Somit könne auch keine Strafe ausgesprochen werden.
Sicherheitskonzept überarbeitet
Zudem sei es entgegen der Darstellung der Staatsanwaltschaft völlig unklar, ob die Frau überhaupt noch hätte gerettet werden können. Auch der Gutachter habe das am Dienstag nicht zweifelsfrei bestimmen können. Ungeachtet ihrer ungenügenden Ausbildung hätte auch lehrbuchmässiges Handeln der Beschuldigten den Tod wohl nicht verhindern können, so einer der Verteidiger. Ein anderer holte auch noch gegen das Untersuchungsgefängnis aus: «Der Waaghof ist der Horror», sagt er. Und der dritte griff den gesamten Haftvollzug an und sprach von «menschenunwürdigen Zuständen». Wenigstens habe man im Waaghof nun das Sicherheitskonzept überarbeitet. «Es ist aber tragisch, dass zuerst jemand sterben muss, damit etwas passiert», mahnte er.
Das Dreiergericht wird sich nun beraten. Die Urteilsverkündung ist für Freitag, 10.30 Uhr angesetzt.
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