Streitgespräch: Mehr AHV – «notwendig» oder «linke Träumerei»?

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StreitgesprächMehr AHV – «notwendig» oder «linke Träumerei»?

Sollen wir alle 10 Prozent mehr AHV erhalten? SP-Nationalrätin Mattea Meyer und der Präsident der Jungfreisinnigen, Andri Silberschmidt, kreuzen die Klingen.

D. Pomper
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D. Pomper

Der Auftrag an die beiden Kontrahenten lautete: <b> «Stellen Sie ihrem politischen Gegner die Fragen, die Ihnen unter den Nägeln brennen!»</b> Im Video fühlen die SP-Nationalrätin Mattea Meyer und Andri Silberschmidt, Präsident der Jungfreisinnigen, einander auf den Zahn.

Frau Meyer, Herr Silberschmidt, wie stellen Sie sich Ihr Leben nach der Pensionierung vor?

Meyer: Ich wünsche mir, mein Leben gesund, mit guten Freunden und mit Reisen geniessen zu können. Und ich werde mich weiterhin mit Herzblut für eine gerechte Gesellschaft einsetzen.

Silberschmidt: Ich werde dann sicher nicht im Ruhestand sein, sondern will etwas von meinem beruflichen Erfahrungsschatz weitergeben.

Die AHV-plus-Initiative fordert 10 Prozent mehr AHV. Frau Meyer, befürchten Sie, ohne diese Erhöhung im Alter am Hungertuch nagen zu müssen?

Meyer: Das hoffe ich nicht. Fakt aber ist, dass bereits heute viele Menschen nicht in Würde alt werden können. 70 Prozent der Maximalrente der AHV geht heute weg für Miete und Krankenkassenprämie. Vor vierzig Jahren waren es noch 50 Prozent.

Silberschmidt: Viele Rentner sind so wohlhabend wie nie zuvor. Für die, für die es finanziell eng wird, hat das Schweizer System vorgesorgt: Sie erhalten Ergänzungsleistungen.

Meyer: Es ist heuchlerisch, wenn du ausgerechnet als Jungfreisinniger mit den Ergänzungsleistungen argumentierst. Es ist ja gerade die FDP, die diese Leistungen abbauen will und so die Altersarmut vorantreibt. Wer ein Leben lang gearbeitet hat, soll von seiner Rente leben können. Dafür braucht es eine Erhöhung der AHV um 10 Prozent.

Silberschmidt: Um Altersarmut vorzubeugen, braucht es nicht einfach höhere Renten, sondern beispielsweise Fortschritt im Gesundheitswesen und der Technologie. Es gibt nicht grenzenlos Geld. Die Renten sind Jahr für Jahr gestiegen. Die Lebenserwartung steigt. Die Leute beziehen länger Renten, wobei das Pensionsalter nie angepasst wurde. Unter diesen Umständen mehr AHV zu fordern, ist eine sozialistische Träumerei. Schlussendlich ist es die junge Generation, die diesen Entscheid ausbaden müsste. Die Jungen zahlen bereits heute Milliarden ein, die sie nie wieder zurückbekommen werden.

Müssten die Jungen tatsächlich für die AHV-plus-Initiative bluten?

Meyer: Im Gegenteil! Auch die Jungen profitieren von der AHV-plus-Initiative. Beziehen ihre Eltern oder Grosseltern genug Rente, müssen sie sie nicht finanziell unterstützen. Ausserdem ist die AHV die Vorsorge, die das beste Preis-Leistungsverhältnis hat. Für jeden Franken den man einbezahlt, erhält man viel mehr zurück, als das bei einer privaten Vorsorge der Fall wäre. Dank der AHV bleibt den Erwerbstätigen mehr im Portemonnaie, als wenn sie die gleiche Rentenleistung privat ansparen müssten. Das gilt in Zukunft umso mehr, weil die Pensionskassenrenten sinken werden.

Silberschmidt: Unsere Renten sind in Gefahr. In den nächsten 20 Jahren fehlen 80 Milliarden Franken. Kommen 10 Prozent dazu, sind wir bei 90 Milliarden. Das bedeutet eine massive Steuererhöhung. Ausserdem müsste die junge Generation viel länger arbeiten. Wir riskieren, unseren Wohlstand einzubüssen. Und geht es der Wirtschaft nicht gut, sind auch unsere Sozialwerke in Gefahr.

Nehmen wir an, Ihre Eltern würden nicht genug Rente erhalten. Würden Sie sie finanziell unterstützen?

Silberschmidt: Auf jeden Fall. Jeder soll zuerst für sich selber und seine Familie sorgen. Man hat nicht das Recht, sich auf das Geld anderer zu verlassen. Wir sollten wegkommen von dieser Vollkaskomentalität, nach der der Staat für alle finanziellen Probleme aufkommen soll. Dieser sollte nur als letzte Instanz eingreifen.

Meyer: Klar würde ich meinen Eltern helfen. Aber nicht alle können das. Das, was du sagst, ist eine Ohrfeige für alle, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben, und dennoch nicht von ihrer Rente leben können. Sie sind auf eine starke AHV angewiesen, die übrigens seit Jahrzehnten auf finanziell sicheren Beinen steht.

Herr Silberschmidt, Sie prangern die Vollkaskomentalität an. Ist die Gesellschaft zu bequem geworden?

Silberschmidt: Wir sind durch den Wohlstand sicher bequemer geworden und verlassen uns bei finanziellen Problemen zunehmend auf den Staat. Dabei sollten die Jungen mehr Geld zur Seite legen. Dafür muss man halt manchmal zurückstecken. Ich plädiere für mehr Eigenverantwortung.

Meyer: Dabei seid ja gerade ihr es, die dafür sorgen, dass die Mieten und Krankenkassenprämien steigen, was den Mittelstand unter Druck setzt. Wie soll jemand Geld zur Seite legen, der 5500 Franken verdient?

Silberschmidt: Ich als Angestellter verdiene heute so viel. Und ich schaffe es locker, 10 bis 15 Prozent des Lohnes zur Seite zu legen für schlechtere Zeiten. Da verzichte ich halt mal auf luxuriöse Ferien.

Meyer: Aber du hast keine Familie und wirst später mehr verdienen. Denk an eine Bäckerin, die 5500 Franken verdient bis zu ihrer Pension. Danach bekommt sie von der Pensionskasse und der AHV gerade mal 3000 Franken. Künftig wird sie wegen den sinkenden Pensionskassen-Renten noch weniger erhalten. Das muss mit einer höheren AHV ausgeglichen werden.

Frau Meyer, die AHV-plus-Initiative ist nicht gratis. Ab 2018 würden sich die zusätzlichen Ausgaben der AHV auf über 4 Milliarden Franken pro Jahr belaufen. Wer soll das bezahlen?

Meyer: Es wären je 0,4 zusätzliche Lohnprozente für Arbeitgeber und Arbeitnehmer nötig. Das ist finanzierbar, weil wir in der Pension ein Vielfaches von dem zurückbekommen, als wir jetzt einbezahlen müssten. Ich mache ein Beispiel. Wenn ich als Arbeitnehmerin 30 Franken mehr einzahle, erhalte ich in der Pension 200 Franken mehr pro Monat. Das zahlt sich vor allem für die Menschen mit einem kleinen und mittleren Einkommen aus.

Silberschmidt: Es kann doch nicht sein, dass die Solidarität nur von den Jungen gegenüber den Alten gilt. Erhöhen wir jetzt die Steuern, dann zahlen wir das ein Leben lang. Es ist doch asozial, den Arbeitenden das Geld abzuknöpfen und in einen anderen Topf zu werfen. Wenn man den Rentnern erklärt, wie schlecht die AHV und die Pensionskasse aufgrund verpasster Reformen aufgestellt sind, verzichten sie gerne auf diese Rentenerhöhung, um das System zu stärken. Schliesslich muss die AHV auch in 50 Jahren noch finanzierbar sein.

Meyer: Ihr versucht seit Jahrzehnten, die AHV schlechtzureden, weil eure Banken und Versicherungen nicht davon profitieren. Dabei hat die AHV jahrelang Überschüsse gemacht und steht finanziell gut da. Vorübergehende, finanzielle Herausforderungen wie die Babyboomer-Generation kann man mit einem Mehrwertsteuerprozent mehr kompensieren.

Silberschmidt: Nicht wenn man beachtet, dass die Babyboomer-Generation bald in die Pension kommt, die Einwanderung abnehmen wird und die Wirtschaft nicht mehr so schnell wächst.

Meyer: Die AHV lebt vom wirtschaftlichen Fortschritt. Wir werden immer produktiver, die Löhne steigen, also wird mehr in die AHV einbezahlt und kann man mehr aus der AHV rausnehmen.

Gemäss der Initiative würden alle Rentner vom Zuschlag profitieren. Ist das fair?

Silberschmidt: Sogar ein Multimillionär in Pension wird gemäss Initiative 10 Prozent mehr Rente erhalten. Das ist herausgeworfenes Geld. Der Sozialstaat ist in den letzten Jahren massiv gewachsen. Stattdessen sollten wir nur diejenigen unterstützen, die Hilfe wirklich nötig haben. Einen Millionär zähle ich da nicht dazu.

Meyer: Die AHV ist das Gegenteil von einer Giesskanne. Ein Millionär bezahlt viel mehr in die AHV ein, als er jemals von der AHV ausbezahlt bekommt. Schliesslich gibt es eine Maximalrente. Die Wenig- und Mittelverdienenden profitieren dagegen überproportional vom System.

Die AHV-Renten hat man seit 40 Jahren nicht mehr grundsätzlich aufgebessert. Wäre es jetzt nicht Zeit dafür?

Silberschmidt: Die Rente ist immer grösser geworden, weil die Menschen länger leben und entsprechend länger davon profitieren. Mit Aussicht auf die finanzielle Schieflage der Rente wäre es völlig falsch, wenn man den Schuldenberg noch grösser macht.

Meyer: Es ist höchste Zeit. Die AHV hinkt den Löhnen hinterher. Und vor allem werden die zukünftigen, also auch unsere, Pensionskassenrenten wegen der Wirtschaftskrise massiv tiefer ausfallen. Das muss mit 10 Prozent mehr AHV kompensiert werden.

Die AHVplus-Initiative

Die Initiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) verlangt, dass alle laufenden und künftigen AHV-Altersrenten um 10 Prozent erhöht werden – das ist nach Ansicht der Initianten nötig, um die gesunkenen Renditen bei der Pensionskasse auszugleichen. Der Zuschlag stünde den Versicherten ab 2018 zu.

Wir stimmen am 25. September über die AHVplus-Initiative ab.

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