Ukrainischer Geflüchteter«Mein Tesla ist alles, was ich noch habe – ohne Job muss ich ihn verkaufen»
In der Ukraine war Viacheslav Bondarchuk Change Manager, verdiente 200’000 Euro im Jahr und baute ein Haus. Nach einem Jahr in der Schweiz ist ihm nur sein Tesla geblieben – und auch den muss er jetzt verkaufen.
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Darum gehts
Ukrainische Geflüchtete, die ein Jahr in der Schweiz sind und jetzt Sozialhilfe beziehen, müssen ihre Vermögenswerte neu angeben.
Autos, deren Wert einen Freibetrag von ein paar Tausend Franken übersteigen, müssen sie verkaufen.
Das trifft etwa Viacheslav Bondarchuk, der einen Tesla Model 3 fährt.
Das Auto ist alles, was er noch hat, er lebt von 1200 Franken Sozialhilfe im Monat.
Viacheslav Bondarchuk führte in der Ukraine ein glückliches Leben. «Ich war erfolgreicher Change Manager, habe drei Master-Abschlüsse in Informatik, Finanzen und Business Administration und verdiente im Jahr umgerechnet mindestens 200’000 Euro», erzählt er 20 Minuten.
2015 baute Bondarchuk für sich, seine Frau und die zwei Kinder auf einem 350 Quadratmeter grossen Grundstück am Fluss Dnepr am Stadtrand von Kiew ein Haus. «Ich verdiente gut, die Lebenskosten waren tief. Über Geld musste ich mir damals keine Gedanken machen», sagt der 52-Jährige. Vor vier Jahren kaufte er sich für 65’000 Euro einen Tesla. «Ein Tesla Model 3, offiziell der erste europäische Tesla in der Ukraine», sagt Bondarchuk nicht ohne Stolz. Er liess ihn direkt ab der Tesla-Fabrik in den Niederlanden importieren.

So lebte Viacheslav Bondarchuk in der Ukraine, in der Nähe von Kiew.
Dank den Kindern vor dem Krieg geflohen
Das Auto und die Kinder sind alles, was von Bondarchuks glücklichem Leben geblieben ist. Rund ein Jahr vor Kriegsausbruch trennte er sich von seiner Frau. Dass er das alleinige Sorgerecht bekam, ermöglichte es ihm, trotz Ausreiseverbot für Männer die Ukraine zu verlassen. «Die Vormundschaft erwies sich als legale Möglichkeit, dem Krieg zu entkommen.»
«Das letzte Jahr war das stressigste in meinem Leben.»
Bondarchuk kam mit den Kindern im März in der Schweiz an. Im Mai gelang es Freunden von ihm aus Kiew, seinen Tesla in die Schweiz zu schaffen. «Das vergangene Jahr war das stressigste in meinem Leben. Ich habe mein Zuhause, meine Freunde, meinen Job und meine Lebensrealität verloren. Ich musste ganz von vorne anfangen.»
Bondarchuk wird im zürcherischen Winkel untergebracht und meldet sich für Sozialhilfe an. «Der Sozialarbeiter sagte mir schon damals, dass ich mein Auto wohl verkaufen werde müssen, wenn ich keinen Job finde», erzählt er 20 Minuten. Im Juni klappt das: «Ich konnte sieben Monate bei der Designagentur Ginetta anheuern und Prozessoptimierungen durchführen. Dafür bin ich dem Team extrem dankbar.»
Fährst du selber ein Auto?
«Mein Geld steckt in meinem Haus»
Doch der Vertrag ist befristet, seit Februar ist Bondarchuk wieder auf Sozialhilfe angewiesen. Jetzt gerät auch sein Tesla wieder ins Visier des Sozialhilfegesetzes. «Wenn ich in ein bis zwei Monaten keinen neuen Job finde, muss ich ihn verkaufen. Was Materielles anbelangt, ist der Tesla alles, was mir aus meiner Heimat geblieben ist. Mein Haus ist zwar nicht zerstört, aber ohne Strom, Wasser und Heizung. Ich hoffe, dass ich es in ein paar Jahren verkaufen kann. Ein Grossteil meines Geldes steckt darin.»
In die Ukraine zurückkehren will Bondarchuk nicht. «Meine Kinder sind sechs und sieben Jahre alt und gehen hier zur Schule. Die Schweiz hat eines der besten Bildungssysteme der Welt. Ich möchte wirklich, dass meine Kinder hier die Schule abschliessen können.»
«Bei Kriegsausbruch hatte ich gerade einmal 20’000 Euro auf dem Konto, der Rest steckt in Vermögenswerten.»
Doch dazu ist der 52-Jährige auf Arbeit angewiesen – und auf seinen Tesla. «Wir leben zu fünft in Winkel, gemeinsam mit zwei Freunden. Die Kosten für den ÖV wären viel höher als die geringen Betriebskosten für das Auto.» Dass er diesen jetzt verkaufen soll, leuchtet Bondarchuk überhaupt nicht ein.
«Ich war wohl zu optimistisch. Jetzt habe ich nichts mehr»
Rückblickend betrachtet sagt Bondarchuk: «Als ich noch in Frieden in der Ukraine lebte, war ich zu optimistisch. Ich glaubte, mein nächstes Gehalt komme so oder so, gab mein Geld aus und sparte nur das Minimum.» Er habe auch in Liegenschaften investiert. «Bei Kriegsausbruch hatte ich gerade einmal 20’000 Euro auf dem Konto, der Rest steckt in Vermögenswerten, die ich nicht liquidieren kann.» Mit der Hälfte habe er den nächsten Verwandten geholfen, die andere Hälfte in der Schweiz ausgegeben. Heute lebt Bondarchuk von 1200 Franken Sozialhilfe im Monat, dazu ist die Krankenkasse und ein Teil der Miete bezahlt.
«Die Leute sehen mich und denken, dass ich einen Tesla fahre, viel Geld habe und trotzdem Sozialhilfe bekomme. Aber das ist nicht so. Das Auto ist alles, was mir geblieben ist.» Seine einzige Chance, sein Auto zu behalten, ist ein Job: «Ich bin auf der Suche nach einer Stelle als Unternehmensberater oder Change Manager. Doch auch andere Angebote sind willkommen. Ich bin für jede Hilfe dankbar», sagt Bondarchuk.
Seit über einem Jahr leben aus dem Krieg geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz.
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