Suchtkranke Eltern«Mein Vater hat vor mir Heroin gespritzt»
20 Minuten bat die Community, von ihren Erfahrungen mit suchtkranken Eltern zu erzählen. Zahlreiche Personen haben sich gemeldet. Das sind ihre Geschichten.
- von
- rc
Der Spielfilm «Platzspitzbaby» ist derzeit der beliebteste Film in den Schweizer Kinos und ist allen Kindern suchtkranker Eltern gewidmet. Ab Montag startet zudem die nationale Aktionswoche für Kinder von suchtkranken Eltern. Schätzungsweise 100'000 Kinder in der Schweiz wachsen heutzutage mit einem süchtigen Elternteil auf. 20 Minuten bat die Community, uns ihre Geschichte mit suchtkranken Eltern zu erzählen.
Koks und Krebs
Meine Mutter war Kokain- und alkoholabhänging. Eines Tages diagnostizierten die Ärzte bei ihr Unterleibskrebs. Die Ärzte gaben ihr die Weisung ihren Konsum einzustellen, um überleben zu können. Sie hat sich dagegen entschieden, weiterkonsumiert und starb nach ein paar Wochen an den Folgen. Ich war damals 16 Jahre alt.
Leser L. M. (27)
Mit 13 an der Spritze
Mein Vater war Alkoholiker, mein Bruder mit 13 Jahren heroinabhängig. Wir wussten damals nicht, was das bedeutet. Meine Eltern dachten, es sei ähnlich wie Alkohol und dass er einfach zu viel davon nehme. Mein Bruder hatte viele Freunde in seinem Alter, die ebenfalls abhängig waren. Ich bin ein Jahr älter als mein Bruder und auch mir wurde es oft auf dem Pausenplatz angeboten. Viele meiner Freunde nahmen Heroin. Sie sagten, dass es nicht abhängig mache. Viele von ihnen sind jetzt tot.
Wir waren nie gern zu Hause, da es dort oft Stress gab. Mein Bruder war vollkommen unter meiner Verantwortung, meine Eltern zählten auf mich. Ich hatte oft Streit mit ihm, da er uns immer wieder zu beklauen, zu belügen oder zu hintergehen versuchte. Teilweise war ich wie gelähmt vor Sorge um sein Leben. Irgendwann entschied er sich, ins Ausland zu gehen. Nach 15 Jahren kehrte er clean wieder nach Hause zurück. Heute hat er selbst eine Familie und ist ein lieber Papi. Er raucht zwar hie und da mal einen Joint, doch fasst er keine anderen Substanzen mehr an. Ich bin unheimlich stolz auf ihn und sehr froh, meinen kleinen Bruder noch zu haben. Er ist einer der wenigen Überlebenden aus dieser schlimmen Zeit.
Leser P. F. (48)
Konsum vor Kindern
Meine Eltern haben beide Heroin konsumiert. Mein Vater war regelmässig auf dem Platzspitz. Er hat auch vor mir gespritzt.
Meine Mutter ist trotzdem immer arbeiten gegangen. Schliesslich wurde auch mein Bruder süchtig und starb an einer Überdosis. Das alles hat mich sehr geprägt, dennoch schaue ich vorwärts und will das Beste aus meinem Leben machen. Ich selber habe nie Drogen konsumiert.
Leser N. R. (42)
Wenn die Mutter spielt
Meine Mutter war lange spielsüchtig. Immer wieder gab es Streit zwischen meinen Eltern, weil sie das ganze Geld in der Spielhalle ausgab. Mir wurde das Ganze aber erst nach der Trennung meiner Eltern bewusst, als ich und mein Bruder mit meiner Mutter auszogen. Ich war damals 12 Jahre alt. Plötzlich reichte das Geld nicht mehr fürs Essen, geschweige denn für irgendetwas anderes. Wir durften uns ein neues Kleidungsstück pro Jahr aussuchen. Mehr Geld konnte oder wollte meine Mutter dafür nicht aufbringen. Die Wohnung war ein Saustall, obwohl meine Mutter nicht arbeitete. Gekocht wurde sowieso nie. Ich kam meistens um 17 Uhr von der Schule nach Hause, putzte die Wohnung, kochte mir und meinem Bruder etwas, machte die Wäsche und ging mit dem Hund raus.
Meine Mutter hatte mittlerweile Online-Portale gefunden, um ihre Sucht auszuleben. Sie nahm Kredite auf und verlor total den Bezug zur Realität. Meine Grossmutter und mein Onkel halfen ihr dann. Nach etlichen Gesprächen war klar, dass sie zu Hause nicht von der Sucht loskommen würde. Sie wurde dann in eine Klinik eingewiesen. Es ging insgesamt fünf Jahre, bis sie die Sucht überwunden hatte, einen Job fand und wieder am Leben teilnahm. Rückfällig wurde sie bisher nicht, sie musste es meiner Grossmutter vor deren Tod versprechen. Ein Happy End gibt es trotzdem nicht: Mein Bruder ist bis heute drogenabhängig und lebt von der Sozialhilfe. Ich habe das Ganze recht gut überwunden und schreibe viel darüber. Einfach nur für mich selber. So kann ich vieles verarbeiten.
Leserin J. S. (29)
«Ich kämpfe heute noch»
Ich bin mit einer alkoholkranken Mutter aufgewachsen. Der Alltag war schwer, immer war man ihren Launen und Aggressionen ausgesetzt. Das Schlimmste war, dass die ganze Nachbarschaft Bescheid wusste und ich trotzdem keine Hilfe bekam. Hinter dem Rücken wurde über uns gelästert und als Kind wurde ich ausgeschlossen, weil meine Mutter krank war. Ich wünsche wirklich niemandem, was ich erleben musste. Diese Erfahrungen haben mich fürs Leben geprägt. Ich kämpfe noch heute mit psychischen Problemen.
Leserin R. L. (33)