Migrationskrise «Viele von uns suchen einfach nur Freiheit»
Tausende Migranten sind in den letzten Tagen auf der italienischen Insel Lampedusa angekommen. Aber dort bleiben sie nicht lange – in Staffeln werden sie per Fähre nach Sizilien gebracht. 20 Minuten sprach mit ihnen.
Ajo (30) aus Nigeria erzählt im Video von seiner Reise nach Lampedusa. «Es war schrecklich», sagt er.
Darum gehts
Die Migrationskrise auf Lampedusa spitzt sich zu, die Lage ist weiterhin angespannt.
Mehrere Tausend Geflüchtete befinden sich derzeit auf der Insel. Sie sollen weiter nach Sizilien gebracht werden.
Ihre Lage ist prekär, oft fehlt es am nötigsten.
Gegenüber 20 Minuten erzählen sie ihre Geschichte.
Während die Touristen am Strand von Lampedusa die Sonne und das Meer geniessen, hocken die Migranten in einem eingezäunten Gelände zu Hunderten auf dem sandigen Boden. Nur wenige Stühle sind vorhanden, auch sonst fehlt es an allem. Als 20-Minuten-Reporterin Simona und 20-Minuten-Reporter Luca näher an den Zaun herantreten, der sie von den Geflüchteten trennt, werden sie von einer Aufsichtsperson verscheucht – offenbar möchte man hier nicht, dass jemand mit Journalisten redet. Es ist das Auffanglager des italienischen Roten Kreuzes auf Lampedusa – einer Art «Durchgangsstation» für aktuell Tausende Geflüchtete.
Hunderte warten auf die Fähre nach Sizilien
Manche von ihnen sind nur paar Stunden dort, andere mehrere Tage. Dann geht es weiter – für viele Geflüchtete heisst das, erst mal nach Sizilien. An der Bucht von Cala Pisana liegt die riesige Fähre «Traghetto delle Isole», am nahegelegenen Hafen warten Hunderte darauf, die Fähre nach Sizilien betreten zu dürfen.
Eng an eng sitzen die Geflüchteten dort – wieder auf dem Boden. Müde sehen sie aus, und unsicher. Es sind ausschliesslich junge Männer, manche von ihnen tragen keine Schuhe, die meisten nur Flip Flops. Alle verhalten sich ruhig und zurückhaltend, schauen aber neugierig in unsere Richtung – einer fragt nach einem Selfie.
Für Said ist es schon die zweite Flucht
Dort trifft 20-Minuten-Reporterin Letizia auf Said (27) aus Tunesien. Für ihn ist es schon das zweite Mal, dass er nach Europa kommt. Er hat bereits fünf Jahre in Italien verbracht, wurde dann aber wieder in seine Heimat zurückgeschickt. Dort habe er dann gearbeitet und Geld gespart, um so schnell wie möglich wieder nach Europa zu kommen – den Schleppern musste er rund 8000 tunesische Dinar zahlen, umgerechnet etwa 2300 Franken.
Die Überfahrt mit den Schleppern dauerte ganze zwei Tage. Zum Vergleich: Von Tunesien bis ins deutlich weiter entfernte Sizilien braucht man mit einer normalen Fähre gerade mal zwölf Stunden. Ganz allein nahm er die Strapazen der Überfahrt auf sich – seine Familie ist in Tunesien, manche von ihnen sind auch in Libyen.
Es wirkt nicht so, als wolle er jemals zurück in seine Heimat: «Mein Land ist schrecklich», erzählt er. Die Polizei missbrauche ihre Macht permanent, man sei ihrer Willkür ausgeliefert. Als Beispiel hält er sein Handy in die Luft: «Wenn ein Polizist jetzt sagt, das ist meins, muss ich es ihm geben.»
Schon als kleines Kind habe er davon geträumt, nach Europa zu gehen. Über seine Flucht will er nicht gross sprechen, aber manchmal reichen auch wenige Worte. «Es war schrecklich», sagt er.
Ein anderer Geflüchteter wird etwas konkreter: Er berichtet, dass das ganze Schlepper-Business ein einziges Chaos sei. Es gäbe keinen einzelnen Kopf, der dahintersteckt, sondern ganz viele. Oft komme man gar nicht mit ihnen in Kontakt, und man werde von einem zum nächsten geschickt – durch mehrere Länder. «Es war einfach nur sehr hart», sagt er.
Auch Ajo (im Video) erlebte die Flucht ähnlich: Für den 30-Jährigen ging es von Nigeria über Niger, Algerien und Tunesien nach Lampedusa. «Es gab weder zu Trinken noch zu Essen. Alle sassen eng beieinander. Mein einziger Gedanke war: Ich will einfach nur am Ziel ankommen.» Auf die Frage von 20-Minuten-Reporterin Simona, warum er sein Leben riskiert hat, um nach Europa zu kommen, sagt er: «In Nigeria haben wir kriegsähnliche Zustände. Alle haben Angst zu sterben. Viele von uns suchen einfach nur Freiheit.»
«Zukunft? Was für eine Zukunft? Ich habe keine Zukunft»
Zurück zu Said: Er würde am liebsten nach Mailand. Vielleicht aber auch nach England, oder nach Norwegen. Nach Deutschland wolle er dagegen nicht: «Die Politik dort ist nicht gut.» Er hat aber auch grosse Angst, wieder zurück nach Tunesien geschickt zu werden.
Über die Menschen in Lampedusa kann er nur Gutes sagen, über die italienische Regierung dagegen nicht: «Die tun nur interessiert, wenn die Presse da ist.» Am Ende bleibt auch die Frage, was ihn eigentlich antreibt, ob er Träume für die Zukunft habe. «Zukunft? Was für eine Zukunft? Ich habe keine Zukunft», sagt er mit einem Lachen, das nur entfernt daran erinnert.
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