Album-Kritik: Miley Cyrus spritzt uns ihr Talent ins Gesicht

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Album-KritikMiley Cyrus spritzt uns ihr Talent ins Gesicht

Nach ihrer VMA-Party veröffentlicht Miley Cyrus unangekündigt ein neues Album. Mit «Miley Cyrus & Her Dead Petz» macht sie auf innovativ – und schiesst übers Ziel hinaus.

Neil Werndli
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Neil Werndli

Miley Cyrus' Karriere lässt sich schön in Phasen unterteilen: Vom Kinderstar wandelte sie sich zur Skandalnudel. Ihre Masche – Mund auf, Brüste raus – zog sie so konsequent durch, dass man ihr irgendwann sogar die Botschaft abkaufte: Miley setzt sich für Feminismus ein, gegen das prüde Amerika und für eine liberale Drogenpolitik.

Während des Wandels sagte Miley tatsächlich ab und zu Dinge mit Substanz. Trotzdem fühlt sich das Ganze nach Kalkül an. Genauso wie der nächste Schritt: Mit «Miley Cyrus & Her Dead Petz» will sie nun endlich als ernstzunehmende Künstlerin gesehen werden – obwohl sie das eigentlich längst ist.

Der tote Hund und The Flaming Lips

«Miley Cyrus & Her Dead Petz» wurde aus heiterem Himmel veröffentlicht: 23 Songs, die Cyrus angeblich gegen den Willen ihres Labels gratis auf ihrer Website anbietet. Sollte sich Mileys Umfeld tatsächlich gegen den Release gewehrt haben, hätte sie besser zugehört – in «Her Dead Petz» fehlt nämlich jemand, der Ordnung in das Chaos bringt.

Das Album ist eine Kehrtwende vom Sound, den Miley auf ihrem letzten Werk «Bangerz» zelebrierte. Die Teenies, die damals mittwerkten, werden von «Her Dead Petz» wohl vor allem verwirrt sein. In Zusammenarbeit mit Waye Coyne (The Flaming Lips) hat sie ein Werk produziert, das nur schwer fassbar ist.

Miley bezeichnet Coyne mittlerweile als einen ihrer BFFs. Sie ist sogar überzeugt, der Spirit ihres toten Hundes Floyd lebe in dem Flaming-Lips-Frontmann weiter. Dem geliebten Husky widmet sie das Album. Und trotzdem klingt «Her Dead Petz» nicht wie ein Trauerwerk, sondern wie der Einblick in den Verstand einer Millionärin Anfang zwanzig, die meint, sie müsse immer noch etwas beweisen.

«Warum gibt es die Sonne?»

Da wäre etwa «Dooo it!», zu welchem Miley ein Video voller Porno-Symbolik gedreht hat. Soundtechnisch erinnert der Song noch am ehesten an Mileys «Bangerz»-Phase. Während die Musik durchaus spannende Momente in sich birgt, wimmelt es im Text von Pseudointellektualität: «Warum gibt es eine Sonne? Warum fliegen Vögel?», fragt sie in der Strophe, bevor sie im Refrain dann festhält: «Ich rauche Gras, ich liebe Frieden, mir ist es egal, ich bin kein Hippie.» Die Texte fühlen sich an wie halblustige Lebensweisheiten, die sich Primarschüler gegenseitig in Poesiebücher schreiben.

Experimente wie «I'm So Drunk» oder «Miley Tibetan Bowlzzz» sind gut gemeint. Die Songs haben hohes WTF-Potenzial und wirken trotzdem nicht wirklich innovativ, sondern eher eitel. Als hätte irgendjemand darauf gewartet, endlich zu hören, wie Miley über ihren toten Fisch weint («Pablow the Blowfish»). Ernsthaft – am Ende des Songs heult sie. Oder sie tut immerhin so.

Plötzlich soll Miley ein Genie sein

Das ganze Album deswegen abzuwerten, wäre aber unfair. «Karen, Don't Be Sad» etwa ist eine wirklich berührende Ballade, «Space Boots» kombiniert Synth-Pop mit unkonventionelleren Elektro-Elementen und «Lighter» ist psychedelisch genug, um einmal mehr festzustellen, dass Miley eine Künstlerin ist.

Wirklich überraschend an «Her Dead Petz» sind aber die Medienreaktionen. Musikredakteure reiben sich die Augen, wenn sie hören, wie mutig Miley hier agiert. Plötzlich stellen alle fest, dass sie mehr wert ist als Brüste und phallische Symbolik. Schade, dass dazu ein Album nötig war, das eigentlich niemand so richtig versteht. Schade, dass Miley den Kritikern ihr Talent ins Gesicht spritzen muss, damit sie es erkennen.

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