Misshandlungsstudie Von Priester vergewaltigt – «das wird mich ein Leben lang begleiten»
Am Mittwoch hat sich das Bistum St. Gallen zu der Missbrauchsstudie der katholischen Kirche geäussert. Dabei war auch Vreni Peterer, die als Kind misshandelt wurde. Sie erzählt mitunter, warum sie 50 Jahre brauchte, um erstmals darüber zu sprechen.
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Darum gehts
Am Dienstag wurde die Pilotstudie zu Missbräuchen in der katholischen Kirche veröffentlicht.
Am Mittwoch hielt das Bistum St. Gallen eine Medienkonferenz ab, an der auch Vreni Peterer beteiligt war, die in ihrer Kindheit von einem Priester vergewaltigt wurde.
Vreni Peterer erzählt über das Erlebte und wie sie es schaffte, nicht daran zugrunde zu gehen.
In der katholischen Kirche kam es immer wieder zu Misshandlungsvorwürfen gegenüber Geistlichen. Wohl auch, weil der öffentliche Druck enorm war, hatte die Kirche diesbezüglich eine Studie in Auftrag gegeben. Am Dienstag wurde die Pilotstudie veröffentlicht, die von der Universität Zürich erstellt wurde. Die Studie mit dem Titel «Pilotprojekt zur Geschichte sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts» bringt Erschreckendes zutage, wie 20 Minuten bereits berichtete.
Insgesamt wurden 1002 Fälle systematischer Misshandlungen zwischen 1950 und heute aufgedeckt. Darunter auch einige in St. Gallen, die am Mittwoch bei einer Pressekonferenz des Bistums St. Gallen zur Sprache kamen. Anwesend war auch Vreni Peterer, eine der «Überlebenden», wie sie sich selbst nennt. Die heute 62-Jährige aus Schlatt AI konnte lange Zeit nicht über das Geschehene sprechen. Es mussten über 50 Jahre vergehen, bis sie sich zum ersten Mal dazu äusserte.
Damals sprach man nicht über Sex
«Es war der 4. Juli 2018», erinnert sich Vreni Peterer an den Tag zurück, an dem sie zum ersten Mal darüber sprach, dass sie in den 70er-Jahren als zehnjähriges Mädchen von einem Priester vergewaltigt wurde. Auslöser waren Therapiestunden, die sie stressbedingt in Anspruch nahm. «Dort wurde mir erst bewusst, dass der Priester das Problem meiner vielen Beschwerden ist», sagt Peterer zu 20 Minuten. Sie entschloss sich, ihn postum beim Fachgremium gegen sexuelle Übergriffe des Bistums St. Gallen anzuzeigen.
Das war nicht einfach: Weder gegenüber ihren Eltern noch gegenüber anderen engen Vertrauten hatte sie sich vorher dazu geäussert. «Anfang der 70er-Jahre waren wir weder aufgeklärt noch hat man über Sex gesprochen. Der Pfarrer war wie ein Dorfpolizist oder ein Lehrer das Höchste und gegen den hat man doch nie etwas gesagt», so Peterer.
Es war aber auch die Scham, die Vreni Peterer bis anhin davon abgehalten hat, darüber zu sprechen. Darüber, «wie der Pfarrer mich in seinem Auto vergewaltigt hat», sagt sie heute mit fester Stimme. Was aber bleibt, ist das schlechte Gefühl. «Das wird mich ein Leben lang begleiten», so Peterer.
Die Taten hätten verhindert werden können
Der Priester, der neben Vreni Peterer noch weitere Kinder misshandelt hatte, wurde in ihrer Pfarrei nie zur Rechenschaft gezogen. An seinem früheren Arbeitsort hingegen wurde er laut Peterer zu vier Monaten Gefängnis bedingt verurteilt, «weil er den Mädchen im Religionsunterricht zu nahe gekommen ist», wie man damals sagte. Nach einjähriger Versenkung wechselte der Verurteilte in die Pfarrei, zu der damals Vreni Peterers Familie gehörte. «Es war ein klassischer Fall von Vertuschung. Wenn man ihn damals aus dem Verkehr gezogen hätte, hätten andere Taten verhindert werden können», sagt Peterer.
Höchstsumme als «Genugtuung»
Peterer wurde finanziell von der Kirche entschädigt – mit einem fünfstelligen Betrag, was damals die maximale Entschädigung war. «Ich hätte auch symbolisch 50 Rappen als Genugtuungszahlung angenommen. Mir ging es darum, dass ich an oberster Stelle als Missbrauchsopfer anerkannt wurde.» Doch war sie zuerst nicht imstande, das «schmutzige Geld», wie sie es nennt, anzunehmen. Das Fachgremium riet ihr, damit etwas für sich zu tun, was ihr im ersten Moment aber absurd erschien. «Mit dem Geld kann ich doch nicht in die Ferien gehen», erinnerte sie sich.
Schliesslich hat sie sich, auch ihrer Familie zuliebe, entschieden, das Geld anzunehmen und damit eine Pferdetherapie zu machen. Heute fühlt sie sich gefestigt und weniger als Opfer, sondern als Überlebende.
Gott weint mit den Missbrauchten
Ihren Glauben habe sie trotz allem nie verloren. Vreni Peterer habe schnell realisiert, dass hinter den Taten Menschen stecken und nicht Gott. «Ich stelle mir den lieben Gott mit einem grossen Schutzmantel vor. Darunter sind alle misshandelten Kinder und er weint gemeinsam mit ihnen. In meiner Vorstellung kann auch er nicht verstehen, dass Menschen so etwas machen», so Vreni Peterer.
Bist du minderjährig und von sexualisierter Gewalt betroffen? Oder kennst du ein Kind, das sexualisierte Gewalt erlebt?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Kokon, Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
Castagna, Beratungsstelle bei sexueller Gewalt im Kindes- und Jugendalter
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Bist du selbst pädophil und möchtest nicht straffällig werden? Hilfe erhältst du bei Forio, Beforemore und bei den UPK Basel.
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