Kampusch-Biografie, Teil 4Mit 14 im Bett des Peinigers
Wolfgang Priklopil sei keine Sex-Bestie gewesen, stellt Natascha Kampusch in ihrem Buch klar. Doch das bedeutet nicht, dass der Mann keine besonderen Bedürfnisse hatte.
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Natascha Kampusch' Buch «3096 Tage» ist seit dem 8. September erhältlich. (Bild: AP Photo/Ronald Zak)
Nachdem Natascha Kampusch über ein halbes Jahr lang im Kellerverlies von Wolfgang Priklopil verbracht hatte, liess sie der Entführer erstmals nach oben gehen, um ein Bad zu nehmen. «Nach Monaten im Keller hatte ich völlig vergessen, wie gut es sich anfühlt, Luft zu atmen, die nicht trocken und staubig war.»
Mit 12 wird Kampusch zur Frau. «Eines Morgens (...) entdeckte ich Blutflecken auf meinem Schlafanzug.» Von da an habe sich die Beziehung vom Täter zu ihr geändert. Priklopil zwang die heranwachsende Frau, die Putzarbeit im Haus zu übernehmen. Gleichzeitig gewährte er ihr mehr Freiraum. Doch immer unter der Drohung: «Ich bring dich um, wenn du schreist.» Im Haus musste Kampusch immer halb nackt arbeiten, im Garten durfte sie keine Unterwäsche tragen.
Mit 14 mit ins Bett genommen
«Als ich 14 geworden war, verbrachte ich zum ersten Mal seit vier Jahren eine Nacht über der Erde», ist in den Auszügen, die täglich in der «Bild»-Zeitung erscheinen, zu lesen. Schnell wird dem Leser klar: Kampusch schlief dabei im gleichen Bett mit dem Entführer. «Ich lag starr vor Angst.» Fliehen hätte sie nie können – der Täter schloss jeweils die Schlafzimmertür ab und deponierte den Schlüssel oberhalb des Schranks, so weit oben, dass nur er Zugriff darauf hatte.
«Eine der ersten Schlagzeilen über den Täter nach meiner Selbstbefreiung lautete: ‚Die Sexbestie'. Ich werde über diesen Teil meiner Gefangenschaft nicht schreiben – es ist der letzte Rest an Privatsphäre, den ich mir noch bewahren möchte», schreibt Kampusch. «Doch so viel will ich sagen: Der Täter war in vielerlei Hinsicht eine Bestie und grausamer, als man es sich überhaupt ausmalen kann – doch in dieser war er es nicht.»
Dem Täter sei es nur ums Kuscheln gegangen. «Wenn er mich in den Nächten, die ich oben verbringen musste, an sich fesselte, ging es nicht um Sex. Der Mann, der mich schlug, in den Keller sperrte und hungern liess, wollte kuscheln. Kontrolliert, mit Kabelbindern gefesselt, ein Halt in der Nacht.» Tagsüber schlug er sie weiter: «Knüffe, Fausthiebe, Tritte im Vorbeigehen gegen das Schienbein.» Am Abend im Bett habe sie oftmals nicht auf dem Rücken liegen können. «Mein Rücken war, wie so oft, grün und blau geschlagen – er tat so weh, dass ich nicht darauf liegen konnte, die Kabelbinder schnitten ins Fleisch. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken und verkrampfte.»
Drei Fluchtmöglichkeiten entgehen lassen
In den nächsten Jahren soll es zu drei grosse Möglichkeiten gekommen sein, aus den Fängen des Täters zu fliehen. Doch aus Angst seien alle drei misslungen. Das erste Mal schon wenige Tage nachdem Priklopil sie zum ersten Mal nach oben genommen hatte. Er nahm sie in den Drogeriemarkt mit und liess Kampusch zwei Artikel aussuchen. Das Mädchen nahm rasch eine Wimperntusche und eine kleine Flasche Minzöl. Als sie an der Kasse bezahlte, erschrak sie: Zum ersten Mal in langer Zeit redete eine fremde Person mit ihr.
Auf der Heimreise seien die beiden in eine Verkehrskontrolle geraten. Auch hier brachte Kampusch kein Wort über die Lippen. «In meinem Kopf formte sich ein Wort, das ich wie in einer grossen Sprechblase in der Luft schweben sah: Hilfe! Ich hatte es so deutlich vor Augen, dass ich gar nicht glauben konnte, dass der Polizist nicht reagierte.» Mit einem «Danke, alles in Ordnung!» liess der Beamte den Entführer weiter fahren.
Die dritte Fluchtchance liess sich Kampusch kurz vor ihrem 18. Geburtstag entgehen. Auch dieses Mal hatte die Angst ihr die Stimme verschlagen. Während eines Skiausflugs traf sie eine fremde Frau auf der Toilette. «Ich war zum ersten Mal seit meiner Gefangenschaft mit einem anderen Menschen allein. Ich weiss nicht mehr genau, was ich gesagt habe. Aber alles, was aus meinem Mund herauskam, war ein leises Piepsen. Die blonde Frau lächelte mich freundlich an, drehte sich um – und ging. Sie hatte mich nicht verstanden.»