«Time-Out»Mit Zug kann der SCB nicht das Kalb machen
Der SC Bern besiegt Tabellenführer Zug auswärts 5:4 n.P. Endlich wieder einmal eine SCB-Vorstellung, die sich objektiv oder subjektiv beurteilen lässt, und Stoff für Polemik.
- von
- Klaus Zaugg

Kann SCB-Goalie Marco Bührer die Klotener in Schach halten? (Bild: Keystone)
Die Arbeit der psychologischen «Regenmacher» wirkt sich positiv aus: Erst der eindringliche Appell der Fans an den Stolz der Spieler nach dem schmählichen 1:6 in Fribourg (der «Rampenschwur» - 20 Minuten Online berichtete) und dazu die Beratung durch den weltberühmten Sportpsychologen Dr. Saul L. Miller, der in regelmässigen Abstanden aus Nordamerika herbeieilt um das Selbstvertrauen der Berner zu stärken.
Der Freund von Ex-SCB-Trainer Larry Huras behandelt diese Woche mit dem Trainer und den Spielern intensiv das Thema «Konzentrieren auf das Wesentliche». Der kanadische Seelendoktor bleibt noch bis zur Nationalmannschafts-Pause in Bern und versucht, das «abgestürzte» Programm des SCB-Selbstvertrauens wieder hochzufahren. Er war schon in der SCB-Meistersaison 2009/10 dabei.
Positive Anzeichen zur Wende
Tatsächlich gelingt den Bernern in Zug erst einmal die Rückkehr zum einfachen, soliden Spiel und das trägt ihnen bis zur 52. Minute eine hoch verdiente 4:1-Führung ein. Sie spielen «Larry Huras-Hockey»: Defensive Absicherung und taktische Disziplin statt Spektakel und Kreativität. Typisches und unspektakuläres Resultat-Hockey. Nicht einmal der Ausfall von Torhüter Marco Bührer (Magen-Darm-Grippe) kann die Mannschaft verunsichern.
Der Titan EV Zug schläft. Erst im Schlussdrittel beginnt er sich zu recken und zu strecken und wälzt sich aus dem Lotterbett der Bequemlichkeit. Die Zuger brauchen nicht einmal sechs Minuten (53:18 bis 58:48 Min.) um aus dem 1:4 ein 4:4 zu machen. Das durch «Rampenschwur» und Doktor Miller aufgeforstete SCB-Selbstvertrauen ist halt noch wacklig auf den Beinen wie ein frisch geborenes Kalb. Aber mit diesem EV Zug kann der SCB nicht das Kalb machen. Auch wenn die Zuger diesmal nicht ganz bei der Sache sind: Sie haben im Laufe dieser Saison ein meisterliches Selbstvertrauen aufgebaut und finden Mittel und Wege, um die Niederlage in der regulären Spielzeit noch abzuwenden.
Vom 4:1 zum 4:4 und dann doch ein SCB-Sieg im Penaltyschiessen. Es gibt drei Möglichkeiten der Analyse.
Die subjektiv-polemische Analyse
Wer ein 1:4 in den letzten acht Minuten noch aus den Händen gibt, ist weder mental noch taktisch gefestigt, und der Trainer hat die Übersicht verloren. Warum keine schlauen Verzögerungsmanöver wie das Wechseln des Goalies und Basteleien an der Torhüterausrüstung? Larry Huras hätte genau das getan, mit solchen «illegalen Time-Outs» den Rhythmus der Zuger gestört und den Vorsprung über die Zeit gerettet. Die Mannschaft hat nach wie vor nicht die Stilsicherheit, die sie zum Zeitpunkt der Entlassung von Larry Huras im letzten Herbst hatte. Der SCB steckt weiterhin in der Krise und hat ein Trainer-Problem.
Die subjektiv-aufbauende Analyse
Die Berner haben nach dem schmählichen 1:6 gegen Fribourg reagiert (Charakter gezeigt) und den Tabellenführer auswärts gebodigt. In der Verlängerung und im Penaltyschiessen folgt eine starke Reaktion auf den verlorenen 4:1-Vorsprung, und das deutet auf einen Trainer hin, der die Mannschaft im Griff hat und im Spiel die Übersicht behält. Der SCB hat einen ersten, grossen Schritt aus der Krise heraus gemacht und kein Trainer-Problem.
Die objektive Analyse
Ein unterhaltsames, für die letzten Qualifikations-Runden typisches, für den Standard der Liga eher langsames «Januar-Spiel» mit geringer Intensität. Die Zuger sind in der Schlussphase einer erfolgreichen Qualifikation nicht so richtig bei der Sache, überheblich und unkonzentriert. Die Berner, die etwas gutzumachen haben und gegen ein heraufziehendes Krisen-Gewitter kämpfen, sind vor allem in Spezialsituationen (Powerplay, Boxplay) ganz klar besser. Sie arbeiten konzentrierter und engagierter.
Es lässt sich also je nach Standpunkt viel in dieses Spiel hineininterpretieren: Für und gegen Trainer Antti Törmänen. Der objektive Analytiker kommt zum Schluss: Nach dieser Partie ist es nicht möglich, Spielstärke, Formstand und Playofftauglichkeit des SCB seriös zu beurteilen. Trainer Antti Törmänen bringt es auf den Punkt, wenn er auf die Frage, ob dieser Penalty-Sieg nach dem Verlust einer 4:1-Führung der Mannschaft eher helfe oder schade, sagt: «Das werden wir erst in den nächsten Partien sehen.» Heute Abend spielt der SCB zu Hause gegen Kloten. Im Falle einer Niederlage droht dem SCB zum ersten Mal seit sieben Jahren der Sturz hinunter auf Rang 5. Seit 2005 haben die Berner die Playoffs immer aus den ersten vier heraus gestartet.
Eines ist dem neutralen und objektiven Chronisten noch aufgefallen: Der Verteidiger mit der Nummer 19 ist der beste Abwehrspieler des Abends. Sicher mit der Scheibe, recht beweglich, smart und dazu in der Lage, alles was er im Spiel liest auch richtig umzusetzen. Das wegweisende 1:0 für den SCB ist das Produkt seines feinen Gespürs für die Spielsituation. Die Nummer 19 ist Geoff Kinrade, der neue kanadische SCB-Verteidiger. Er hat in Zug erstmals für die Berner gespielt.