Löhne: Mitarbeiter sollen bei unfairen Löhnen ihre Firma verpfeifen

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LöhneMitarbeiter sollen bei unfairen Löhnen ihre Firma verpfeifen

Grosse Firmen müssen regelmässig analysieren, ob sie Männern und Frauen dieselben Löhne zahlen. Tun sie das nicht, sollen ihre Mitarbeitenden dies künftig melden. Die Gewerkschaft Travailsuisse führt eine schwarze Liste.

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Angestellte sollen melden, wenn ihre Firma keine Lohngleichheits-Analyse erstellt oder nicht darüber informiert. Das will der Gewerkschaftsdachverband Travailsuisse.

Angestellte sollen melden, wenn ihre Firma keine Lohngleichheits-Analyse erstellt oder nicht darüber informiert. Das will der Gewerkschaftsdachverband Travailsuisse.

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Das Problem sei, dass das Gleichstellungsgesetz weder Kontrollen noch Sanktionen vorsehe für fehlbare Firmen, sagt Thomas Bauer, Leiter Wirtschaftspolitik bei Travailsuisse.

Das Problem sei, dass das Gleichstellungsgesetz weder Kontrollen noch Sanktionen vorsehe für fehlbare Firmen, sagt Thomas Bauer, Leiter Wirtschaftspolitik bei Travailsuisse.

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Andy Müller vom Arbeitgeberverband sieht es anders. Die Gewerkschaften sollten Geduld haben und die Analysen im Sommer 2023 abwarten. Die Lohnunterschiede würden überschätzt, sagt Müller.

Andy Müller vom Arbeitgeberverband sieht es anders. Die Gewerkschaften sollten Geduld haben und die Analysen im Sommer 2023 abwarten. Die Lohnunterschiede würden überschätzt, sagt Müller.

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Darum gehts

Derselbe Job, gleich viel Erfahrung, dieselbe Leistung – aber monatlich 684 Franken weniger Lohn: Die Lohndifferenz zwischen Mann und Frau beträgt laut Bundesamt für Statistik 8,1 Prozent. Dabei handelt es sich nur um jenen Teil der Differenz, der nicht erklärbar ist.

Lohngleichheit ist gesetzlich vorgeschrieben, aber in vielen Unternehmen noch nicht umgesetzt. Deshalb hat das Parlament Unternehmen mit über 100 Mitarbeitenden dazu verpflichtet, eine Analyse zu erstellen, diese extern überprüfen zu lassen und Mitarbeitende sowie bei börsenkotierten Unternehmen die Aktionäre zu informieren. Ende Juni 2022 muss die Revision abgeschlossen sein, ein Jahr später die Information stattgefunden haben.

Gewerkschaft setzt auf Whistleblower

Nun fordert die Gewerkschaft Travailsuisse Angestellte auf, ihre Firma zu verpfeifen, wenn sie keine Analyse durchführt oder nicht darüber informiert. Das sagt Thomas Bauer, Leiter Wirtschaftspolitik, zu 20 Minuten. Das Problem sei, dass das Gleichstellungsgesetz weder Kontrollen noch Sanktionen vorsehe, sagt Bauer. Travailsuisse habe es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, die Umsetzung zu überwachen. 

Sollen Angestellte ihre Firma verpfeifen?

In den nächsten Monaten will die Gewerkschaft eine schwarze Liste erstellen mit fehlbaren Unternehmen. Dafür zählt sie auf die Informationen von Whistleblowern. Diese Liste soll im Sommer 2023 aufgeschaltet werden. Die Strafe für die fehlbaren Unternehmen ist demnach der Pranger-Effekt der schwarzen Liste. Daneben führt Travailsuisse seit zwei Jahren auch eine weisse Liste für Unternehmen, welche die Analyse korrekt durchgeführt haben. Dort haben sich bis jetzt rund 130 Firmen eingetragen, darunter ABB, Helvetia Versicherungen oder Ringier.

Grosse Firmen zahlen gerechtere Löhne

Die Lohngleichheit in der Schweiz hat sich zuletzt minim verbessert: Noch vor zehn Jahren betrug die nicht erklärbare Differenz zwischen Männer- und Frauenlöhnen 8,3 Prozent – 2018 waren es 8,1 Prozent. Dennoch bedeutet diese Differenz, dass Männer im Schnitt 684 Franken mehr im Monat verdienen als Frauen. Überdurchschnittlich hoch sind die Lohn-Unterschiede in der Textilindustrie (17 Prozent), im Bau (14 Prozent) sowie in der Kommunikationsbranche (elf Prozent), kleiner sind sie in der Gastronomie (vier Prozent).

Das Parlament hat 2018 die Lohngleichheits-Analysen ins Gleichstellungsgesetz genommen. Doch das Gesetz habe mehrere Mängel, sagt Thomas Bauer. So sei es falsch, nur grosse Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. «Je grösser ein Unternehmen desto kleiner die Lohn-Unterschiede», sagt Thomas Bauer. Das hänge mit standardisierten Prozessen bei grossen Firmen zusammen. Zudem bestehe die einzige «Strafe» bei hohen Lohndifferenzen darin, die Analyse in vier Jahren wiederholen zu müssen. Und 2031 verfällt die Pflicht zur Analyse automatisch, dies hat das Parlament so beschlossen. 

«Unnötig und überhastet»

Der Aufruf, die eigene Firma zu verpfeifen, sei unnötig und überhastet, sagt Andy Müller, Sprecher des Arbeitgeberverbands. «Die Gewerkschaften sollten noch etwas Geduld aufbringen und die Veröffentlichung der Analysen im Sommer 2023 abwarten.» Erste publizierte Analysen zeigten schon jetzt, dass in 97 Prozent der Unternehmen keine unerklärbaren Lohndifferenzen bestünden, sagt Müller. Zu diesem Schluss kam die Universität St. Gallen in einer 2021 publizierten Untersuchung. «Die überwiegende Mehrheit der Betriebe hält das Gleichstellungsgesetz ein.» Die nicht erklärbaren Lohn-Unterschiede würden noch immer überschätzt, auch vom Gleichstellungsbüro des Bundes.

Der Schweizerische Gewerbeverband verzichtet auf eine Stellungnahme, da den Gewerkschaften gemäss Gleichstellungsgesetz keine Rolle zur Überwachung oder Überprüfung der Lohngleichheits-Analysen zukomme, sagt Sprecherin Corinne Aeberhard.

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