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Behörde schaute wegMobbing-Fall in Japan wird zum Politikum

Ein 13-Jähriger, der vergangenen Oktober aus einem 14. Stock gesprungen war, löste in Japan eine Welle der Entrüstung aus. Nun entschuldigt sich die Stadt Otsu für unterlassene Hilfeleistung.

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«Jime», Mobbing, an Schulen sind ein ernstes soziales Problem in Japan.

«Jime», Mobbing, an Schulen sind ein ernstes soziales Problem in Japan.

Der Junge muss verzweifelt gewesen sein. Seine Kollegen in der Schule mobbten ihn, sie fesselten ihn regelmässig an seinen Stuhl, banden Füsse und Hände zusammen und klebten seinen Mund mit Klebeband zu. Manchmal zwangen sie ihn, tote Bienen zu essen und manchmal liessen sie ihn sogar seinen Selbstmord spielen. Die Lehrer feierten die Witze der Bullys, während der Junge erstickte.

Der 13-Jährige sprang schliesslich im Oktober 2011 aus seinem Fenster im 14. Stockwerk der Elternwohnung in der Stadt Otsu. Er hatte vorher noch davon gewarnt: «Ich werde sterben», schrieb er seinen Peinigern in einer SMS. «Du sollst sterben» war deren Antwort.

Schulbehörde spricht Täter frei

Der Fall sorgte für Aufruhr. Die Schule und die Schulbehörde gerieten ins Visier der Ermittler, weil sie offenbar von den Mobbing-Attacken gewusst und doch weggeschaut hätten. Später, nachdem es passiert war, versuchten sie zudem den Fall zu vertuschen.

Vor Gericht sagten die drei angeklagten Mitschüler, ihnen sei nicht bewusst, «etwas Falsches getan» zu haben. «Wir haben nur mit ihm gespielt.» Die Schulbehörde gaben ihnen Recht: Man könne nicht beweisen, dass die Taten der drei Beschuldigten direkt mit dem Suizid des Opfers verbunden seien.

Eltern fordern Wiedereröffnung des Falls

Jetzt, neun Monate später, entschuldigt sich die Stadtverwaltung von Otsu ganz offiziell bei den Eltern. Mit einer tiefen Verneigung las der Verteidiger der Peiniger, Yuichi Shiraki, ein Communiqué vor: «Im Name der Stadt Otsu bitte ich um Vergebung».

Offenbar war der Druck auf die Behörde gross geworden, nachdem am Montag der japanische Premierminister Yoshihiko Noda in einem Live-Interview mit dem Sender «Fuji-TV» offen über die «Jime»-Problematik unter Jugendlichen gesprochen hatte. Yoda sprach dabei von einem «beschämenden und schmutzigen Akt». Der Politiker wandte sich vor laufender Kamera direkt an die Opfer: «Es gibt Menschen, die sich um dich kümmern. Ich verspreche dir, dass es Leute gibt, die dir helfen wollen», sagte er. «Bitte glaube mir und melde die Übergriffe deinen Eltern, Lehrern oder Freunden.»

Der Fall des 13-Jährigen soll indes neu eröffnet werden, bestätigte der Stadtbeamte Shiraki. Eventuell könnte es diesmal zu einer Strafanklage kommen. Die Eltern des Opfers haben die Entschuldigung der Behörde zur Kenntnis genommen, sie fordern jedoch eine Genugtuung von umgerechnet mehr als einer Million Franken. «Als ich die Pressekonferenz sah, konnte ich an nichts anderes denken, als dass sie meinen Sohn im Stich gelassen haben», liess der Vater über seinen Anwalt melden. Er wolle, dass die Wahrheit nun endlich ans Licht komme.

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