Mobbing-Experte: «Muss die Polizei eingeschaltet werden, ist schon zu viel schief gelaufen»

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Mobbing-Experte«Muss die Polizei eingeschaltet werden, ist schon zu viel schief gelaufen»

Pascal Kamber berät Schulen und Betroffene zum Thema Mobbing. Er gibt Tipps, wie Eltern, Lehrer und Schulen damit umgehen und verhindern können, dass es so weit kommt wie im Fall von Anja B.*

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Pascal Kamber ist Fachberater in Mobbing.

Pascal Kamber ist Fachberater in Mobbing.

hilfe-bei-mobbing.ch 
Mit Cybermobbing-Fällen seien Eltern und Schulen oft überfordert, sagt Kamber. 

Mit Cybermobbing-Fällen seien Eltern und Schulen oft überfordert, sagt Kamber. 

20min/Michael Scherrer
Er appelliert an die Pädagogischen Hochschulen, mehr in die Ausbildung der Lehrpersonen zum Thema Konfliktbewältigung und Mobbing zu investieren. 

Er appelliert an die Pädagogischen Hochschulen, mehr in die Ausbildung der Lehrpersonen zum Thema Konfliktbewältigung und Mobbing zu investieren. 

20min/Michael Scherrer

Darum gehts

Über Monate hinweg hat eine Mädchengang das Leben von Anja B.* und ihrer Mutter zur Hölle gemacht. Mittlerweile sind Mutter und Tochter weggezogen, die beiden 13-jährigen Haupttäterinnen wurden verurteilt. Ein Experte erklärt, wie man verhindern kann, dass Mobbing-Fälle so ausarten. 

Herr Kamber*, was können Eltern tun, wenn ihr Kind gemobbt wird?

Bis es tatsächlich Mobbing ist, ist meist schon einiges geschehen und Eltern und Schule hätten schon früher eingreifen können. Sobald ein Kind erzählt, dass es «gehänselt» worden ist, sollten Eltern das ernst nehmen. Auf keinen Fall sollen solche Vorfälle als «nicht so schlimm» abgetan werden. Das Kind braucht Unterstützung, man kann nachfragen, was passiert ist und wie es dem Kind ergangen ist. Wichtig ist auch, mit dem Kind auch über das eigene Verhalten zu sprechen.

Hier musste die Polizei eingeschaltet werden. Wie kann es so weit kommen?

Das Problem ist, dass viele Akteure mit der rasanten Entwicklung, etwa auf Social Media, überfordert sind. Das beginnt schon bei der Politik, der ich grosse Vorwürfe machen. Wir dürfen nicht bei der Bildung sparen! Wenn heute eine einzige Lehrperson 28 Kinder betreuen muss, sind Probleme vorprogrammiert. Das System krankt schon da.

Könnten die Schulen früher intervenieren?

Klar. Eltern sollen so früh wie möglich das Gespräch mit der Lehrperson suchen und die Problematik sachlich besprechen. Die Schule wird dann in die Verantwortung genommen, etwas zu unternehmen, etwa das Gespräch mit den Beteiligten zu suchen oder den oder die Schulsozialarbeiterin einzuschalten. Eltern können einfordern, über die Entwicklungen dieser Gespräche auf dem Laufenden gehalten zu werden.

Laut der Mutter sagte die Schulleitung, ihr seien die Hände gebunden.

Wie bei den Eltern stellt sich in gewissen Fällen auch bei den Schulen ein Ohnmachtsgefühl ein, wenn Gespräche und Interventionen nichts nützen. Auch hier geht ein Vorwurf an die Politik respektive die Ausbildung der Lehrpersonen: Fachliche Kompetenzen werden immer noch viel höher gewichtet als emotionale und soziale. Dabei sind die Anforderungen an die sozialen Kompetenzen viel schneller und stärker gewachsen in den letzten Jahren.

Hattest du schon einmal Probleme mit Mobbing? 

Bräuchte es Änderungen in der Ausbildung?

Wir fragen uns schon lange, warum die pädagogischen Fachhochschulen nicht mehr Wert auf praxisbezogene Ausbildung in den Bereichen Mobbing, Konflikte und Gewalt legen. Theorie dazu zu vermitteln ist das eine, aber wenn die frischgebackenen Lehrpersonen dann in der Praxis damit konfrontiert werden, stellen wir fast immer eine Überforderung und Hilflosigkeit der Lehrpersonen fest.


Was kann die Schule tun, wenn Gespräche nichts nützen?

Terrorisiert eine Gruppe eine ganze Schule, müssen die Verantwortlichen zurückfinden zu einer autoritären Rolle. Die Möglichkeiten dazu haben sie, etwa den Schulausschluss oder, wenn es ganz schlimm wird und Gesetze verletzt werden, das Einschalten der Polizei. Teilweise wird in den Schulen zu oft nur über Probleme und Befindlichkeiten geredet, alles ist zu lange inklusiv. Bei klaren Regelverstössen müssen klare Strafen folgen.

Sind Schulen und Eltern auch im Bereich Social Media überfordert?

Das ist leider vielfach so. Instagram, Snapchat und Tiktok haben sich rasend schnell entwickelt und nehmen heute einen Grossteil der Freizeit der älteren Schülerinnen und Schüler ein. Eltern und Schulen können und sollen das nicht dauernd überwachen. Wichtig wäre aber, dass zu Hause und in der Schule über diese Thematiken gesprochen wird.

Was soll besprochen werden?

Zum Beispiel, wie schnell ein Video, das man von sich selber aufnimmt, viral gehen kann und dass es darunter auch viele gemeine Kommentare geben kann. Oder, wie schnell ein Gesetz überschritten wird, auch wenn jemand nur einen Witz machen wollte. Zuhause ist es auch sinnvoll, über Dauer und Art des Social Media-Konsums zu sprechen. Man kann das Kind also einfach einmal fragen: Magst du mir zeigen, in wie vielen Whatsapp-Chats du bist? Um was geht es da so? Hat man rechtzeitig mit dem Kind über den Social Media-Konsum gesprochen, kann man sein Kind im Normalfall gut vor Missbrauch schützen.

*Pascal Kamber ist Fachberater in Mobbing bei www.hilfe-bei-mobbing.ch.

Bist du oder ist jemand, den du kennst, von (Cyber-)Mobbing betroffen? 

Hier findest du Hilfe:

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Fachstelle Mobbing (kostenpflichtig)

Elternberatung, Tel. 058 261 61 61

Hilfe bei Mobbing, Fachstelle für Schulen und Eltern (kostenpflichtig)

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

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