Berner Brauchtum Narren, alkoholisierte Küsse und freche Parolen
In der Neujahrswoche werden im Berner Oberland Bräuche gepflegt. Besonders ledige Männer kommen dabei auf ihre Kosten.
- von
- Mira Weingartner
Brauchtum und Tradition werden im Berner Oberland grossgeschrieben, sagt Harry John, Tourismusdirektor des Kantons Bern. Alte Bräuche haben in den dortigen Gemeinden auch im Jahr 2016 noch immer einen hohen Stellenwert.
So kommt in Kandersteg am Neujahrsmorgen keine Katerstimmung auf. Wie es das Brauchtum dort vorschreibt, müssen erst die bösen Geister aus dem Kandertal vertrieben werden: Am 1. Januar ziehen von Mittag bis in die späten Abendstunden die «Pelzmartiga» – in Felle gekleidete junge Männer – durch das Dorf. «Zwischen dem Ende der Schulzeit und dem Beginn der Rekrutenschule gehört es für Einheimische dazu, bei diesem Brauchtum mitzumachen», so Doris Wandfluh von Kandersteg Tourismus. Die jungen Einheimischen mischen sich dabei unter die Wintergäste des Oberländer Kurortes und erschrecken die Passanten mit lautem Kettengerassel und schellenden Treicheln.
Ledige Sigriswiler machen feuchtfröhliche Politik
Auch in den elf Dörfern der Gemeinde Sigriswil herrscht im neuen Jahr keine Ruhe: Die dortigen Neujahrgesellschaften – bestehend aus einheimischen Junggesellen – sorgen am «zweiten Jänner» für buntes Treiben. Verkleidet als umstrittene Politiker, lokale Persönlichkeiten oder freche Fasnachtsfiguren ziehen sie von Haus zu Haus und verbreiten feuchtfröhlich ihre Stammtisch-Politik. Ein Blatt vor den Mund nehmen sie dabei nicht – verziehen wird ihnen alles, das Brauchtum erlaubt es. Was heute der puren Unterhaltung dient, hat einen tiefgründigen Ursprung: Knechte konnten beim Hausieren Essen und Geld für die strengen Wintermonate sammeln und die jungen Männer trafen beim sogenannten «Schwarznen» auf einheimische Heiratskandidatinnen. Küsse werden auch noch heute verteilt, den ledigen Männern wird aber in erster Linie aufheiterndes Bier und wärmender Kafi-Schnaps angeboten.
In Interlaken sorgt nicht nur das kostenlose Neujahrskonzert Touch the Mountain in dieser Zeit für Stimmung. Tags darauf, am 2. Januar, wird die Stadt zwischen dem Brienzer- und Thunersee von wilden Gestalten heimgesucht: An der «Harder-Potschete» rennen Figuren mit geschnitzten Holzköpfen brüllend durch die Strassen, schnappen sich Zuschauer und Touristen. Zwar sollen diese Angst und Schrecken verbreiten, doch in erster Linie sind die einheimischen «Potschis» beliebte Fotomotive für Touristen. Der erste solche «Chlumlerumzug» fand bereits im Jahr 1611 statt. Damals forderten verkleidete junge Männer vom damaligen Interlakner Kloster ihre «Guet Jahresgab» ein: Brot, Wein und einen Churerbatzen erhofften sie sich davon.
Authentische Berner Oberländer
Dass die Oberländer stark an ihren Traditionen hängen, mache die Region sehr authentisch, meint Harry John, Tourismusdirektor des Kantons Bern. «Die heimischen Talschaften mit ihren Chören, Trychlergruppen und Musikgesellschaften führen die Bräuche nicht nur für Gäste durch – sie feiern für sich selbst, weil es einfach dazugehört», so der Touristiker. Das werde von Gästen geschätzt. «So ist das Berner Oberland auch in der Neujahrswoche eine sehr beliebte Ausflugsdestination.»